Prozeßstrategie und Strafanzeige

Kommt es häufig vor, dass die Gegner im Zivilverfahren einander mit Strafanzeigen drohen?

Rechtsanwältin Ludmilla Emilie Kuhlen: Es ist durchaus nicht unüblich darauf hinzuweisen, dass ein Verhalten oder eine Aussage der Gegenseite einen Straftatbestand erfüllen könnte und man sich die Erstattung einer Strafanzeige vorbehält. Ob man so einem Zusatz als Drohung verstehen möchte, hängt sicherlich auch von der Schärfe der jeweiligen Formulierung ab. Wer sich als Opfer einer Straftat fühlt, wird in der Regel Anzeige erstatten und nicht eine drohende Bestrafung des Täters zur Durchsetzung seiner zivilrechtlichen Ansprüche benutzen.

Ludmilla Emilie KuhlenRechtsanwältin Ludmilla Emilie Kuhlen

Darf man dem Gegner im Zivilverfahren mit einer Strafanzeige drohen?

Rechtsanwältin Diana Nadeborn: Jeder darf Straftaten bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft anzeigen, muss es aber nicht. Problematisch wird es erst, wenn die Nicht-Anzeige mit einer Forderung verknüpft wird. Das könnte eine strafbare Nötigung sein.

Ist eine Strafanzeige ein guter „Test“ für eine spätere Schadenersatzklage?

Rechtsanwältin Diana Nadeborn: Eine Strafanzeige hat erst einmal den Vorteil, dass die Staatsanwaltschaft z.B. im Wege einer Durchsuchung oder Zeugenvernehmung Beweismittel erlangen kann, auf die eine Privatperson keinen Zugriff hat. Der Anwalt des Geschädigten kann Akteneinsicht gem. § 406e StPO beantragen und die Informationen zur Vorbereitung einer Klage verwenden. Allerdings bleibt die Staatsanwaltschaft Herrin des Ermittlungsverfahrens und stellt die Ermittlungen nicht wieder ein, nur weil die Gegner im Zivilverfahren sich inzwischen gütlich geeinigt haben.

Diana NadebornRechtsanwältin Diana Nadeborn

Welche Bindungswirkung hätte ein Zivilurteil für ein noch nicht abgeschlossenes Strafverfahren?

Rechtsanwältin Diana Nadeborn: Auch umgekehrt führt ein stattgebendes Urteil nicht zwingend dazu, dass der Beschuldigte im Strafverfahren verurteilt wird.

Ist eine Strafanzeige eine gute Vorbereitung für eine spätere Schadensersatzklage?

Rechtsanwältin Ludmilla Emilie Kuhlen: Das kann durchaus so sein. Im Strafrecht gilt der Amtsermittlungsgrundsatz, wonach das Gericht von Amts wegen Beweis erhebt. Im Zivilprozess gilt der sogenannte Beibringungsgrundsatz, das heißt die Parteien müssen die relevanten Tatsachen vortragen und auch beweisen. Von Amts wegen wird hier nicht ermittelt. Die Beweisführung im Zivilprozess ist für den Kläger somit mühsamer. Endet das Strafverfahren mit einer Verurteilung, lässt sich diese für den Zivilprozess nutzbar machen. Die Begehung von Straftaten stellt regelmäßig eine Schutzgesetzverletzung dar, die nach § 823 Abs. 2 BGB Schadensersatzansprüche auslöst. Ein Strafurteil lässt sich als Urkundenbeweis in den Zivilprozess einbringen. Der Zivilrichter muss dieses Urteil allerdings einer eigenen kritischen Wertung unterziehen und ggf. Zeugen erneut vernehmen.

Wie wirkt es sich auf den Zivilprozess aus, wenn das Strafverfahren eingestellt wird?

Rechtsanwältin Ludmilla Emilie Kuhlen: Auch die Einstellungsmitteilung kann im Zivilprozess vorgelegt werden. Danach dürfte es für den Anspruchsteller schwierig sein, zivilrechtliche Ansprüche, die sich auf strafrechtlich relevantes Verhalten stützten, erfolgreich geltend zu machen.

Die zeitliche Komponente

Welche zeitliche Verzögerung kann es mit sich bringen, wenn eine Strafanzeige gestellt wird?

Rechtsanwältin Ludmilla Emilie Kuhlen: Das Gericht kann die Aussetzung des Verfahrens anordnen, wenn es einen Verdacht einer Straftat gibt. Das richtet sich nach § 149 ZPO. Welches Ausmaß diese Verzögerung hat, hängt davon ab, ob es zu umfangreichen Ermittlungen kommt oder nicht und mit welchem Tempo diese betrieben werden.

Lassen sich die Verfahren möglicherweise verbinden? Welcher zusätzliche Aufwand entsteht durch die Strafanzeige?

Rechtsanwältin Diana Nadeborn: Zivil- und Strafverfahren unterliegen jeweils eigenen Regeln und Zuständigkeiten; sie bleiben vollständig getrennt. Der zugrunde liegende Sachverhalt und die beteiligten Personen sind jedoch dieselben: Der Kläger ist zugleich der Anzeigeerstatter, der Beklagte ist zugleich der Beschuldigte. Die Anwälte der jeweiligen Partei sollten möglichst frühzeitig zusammenarbeiten, um den für beide Verfahrensarten günstigsten Vortrag zu erarbeiten. Danach ist der Aufwand gering, weil der Vortrag wiederverwendet werden kann.

Zu den Autorinnen:

Rechtsanwältin Diana Nadeborn betreibt Strafverteidigung in der digitalen Welt und schreibt darüber auf IT-Strafrecht.org. In einer gemeinsamen Serie mit Rechtsanwältin und Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht Ludmilla Emilie Kuhlen beantworten die Anwältinnen die FAQs zur Strafanzeige im Zivilverfahren.