Das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen hat entschieden, dass ehrverletzende Äußerungen in einem privaten WhatsApp-Chat eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen können, wenn keine berechtigten Vertraulichkeitserwartungen bestehen. Obwohl die Äußerungen in einem privaten Kontext getätigt wurden, sah das Gericht aufgrund der Schwere und des Vertrauensverlustes eine Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. Der Schutz der Meinungsfreiheit gilt nicht für rassistische, sexistische und gewaltverherrlichende Äußerungen, die die Grundrechte anderer verletzen.
Was war passiert?
Der Kläger war Gruppenleiter in der technischen Logistik eines Luftverkehrsunternehmens. Seit 2014 war er Mitglied einer privaten WhatsApp-Gruppe („HLTeam“) mit sechs weiteren (teils ehemaligen) Mitarbeitern, die langjährig befreundet waren. Der Austausch innerhalb der Gruppe war überwiegend privater Natur, beinhaltete jedoch auch zahlreiche ehrverletzende und diskriminierende Aussagen des Klägers über Kollegen und den Arbeitgeber, darunter Gewaltfantasien, Beleidigungen und rassistische Äußerungen.
Ein Mitglied der Gruppe machte den Chatverlauf öffentlich, indem er ihn einem weiteren Mitarbeiter zeigte, der ihn kopierte und weitergab. Der Arbeitgeber erhielt schließlich ein umfassendes Dokument des Chatverlaufs und leitete eine außerordentliche Kündigung ein. Der Kläger klagte gegen die Kündigung und argumentierte, die Äußerungen seien vertraulich und privater Natur gewesen und dürften nicht verwertet werden.
Bisheriger Prozessverlauf – das BAG greift ein
In erster Instanz erhob der Kläger eine Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Hannover. Das Gericht gab dem Kläger Recht und erklärte die Kündigung für unwirksam. Die Äußerungen seien in einem privaten Chat getätigt worden, in dem der Schutz der Vertraulichkeit Vorrang habe. Das Gericht verurteilte den Arbeitgeber, dem Kläger ein qualifiziertes Arbeitszeugnis auszustellen und ausstehendes Gehalt zu zahlen. Der Arbeitgeber legte daraufhin Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen ein. Dieses stellte zwar fest, dass keine schutzwürdigen Vertraulichkeitserwartungen des Klägers bestünden, sah in den Äußerungen jedoch keinen hinreichenden Grund für eine außerordentliche Kündigung, da sie durch die verfassungsrechtlich garantierte Meinungsfreiheit geschützt seien und wies die Berufung zurück. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hob das Urteil des LAG jedoch auf und verwies den Fall zur erneuten Verhandlung zurück. Das BAG stellte klar, dass die Vertraulichkeitserwartung nicht automatisch bestehe und die Äußerungen grundsätzlich geeignet seien, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.
Die finale Entscheidung des LAG Niedersachsen
Das Gericht befasste sich zunächst mit der Frage der Vertraulichkeitserwartung. Das LAG stellte fest, dass keine berechtigte Vertraulichkeitserwartung bestanden habe. Die Beziehungen innerhalb der WhatsApp-Gruppe erreichten nicht den Grad eines familiären Vertrauensverhältnisses. Die Weitergabe des Chatverlaufs durch ein Mitglied habe zudem gezeigt, dass die Vertraulichkeit tatsächlich nicht gewährleistet gewesen sei. Darüber hinaus wurde die Schwere der Pflichtverletzung festgestellt. Die Äußerungen des Klägers wurden als schwerwiegende Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten bewertet. Beleidigungen, rassistische und sexistische Äußerungen sowie Gewaltfantasien gegenüber Kollegen und dem Arbeitgeber zerstörten das notwendige Vertrauensverhältnis. Auch ohne konkrete Tatabsicht seien die Äußerungen schwerwiegend genug, um eine Kündigung zu rechtfertigen. Das LAG betonte zudem, dass es im konkreten Fall der außerordentlichen Kündigung keiner Abmahnung bedurfte. Die Pflichtverletzungen seien so schwerwiegend gewesen, dass eine Verhaltensänderung nicht zu erwarten gewesen sei. Die Hinnahme der Äußerung sei für den Arbeitgeber unzumutbar. Die Äußerungen des Klägers seien auch nicht durch die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Grundgesetz (GG) geschützt. Äußerungen, die die Grundrechte Anderer verletzen, seien nicht vom Schutzbereich der Norm erfasst. Die rassistischen, sexistischen und gewaltverherrlichenden Inhalte überschritten die Grenzen zulässiger Meinungsäußerung deutlich. Auch im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung kam das Gericht zu keinem anderen Ergebnis. Trotz der langen Betriebszugehörigkeit und der Unterhaltspflichten des Klägers überwögen die Interessen des Arbeitgebers. Die Wiederherstellung eines ungestörten Arbeitsverhältnisses sei nach den Äußerungen nicht mehr möglich, so dass eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt sei.
Das Urteil betont, dass private Kommunikation nicht uneingeschränkt geschützt ist und schwerwiegende Pflichtverletzungen auch in einem vermeintlich vertraulichen Rahmen arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen können. Insbesondere wenn dabei Aussagen getätigt werden, die die Menschenwürde verletzen oder zu Gewalt aufrufen.