Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat mit seiner Entscheidung zu den Anforderungen an einen Nachweis des Zugangs einer Kündigung per Einwurf-Einschreiben die Beweislast von Arbeitgeber:innen* betont. Arbeitgeberinnen müssen sicherstellen, dass sie im Streitfall den Zugang mit allen nötigen Dokumenten beweisen können. Das Gericht stellt jedenfalls klar, dass ein Anscheinsbeweis für den Zugang einer Kündigung nicht ohne Vorliegen des Auslieferungsbeleges angenommen werden kann.
Sachverhalt
Die Beklagte ist eine Gemeinschaftspraxis von Augenärzten. Sie kündigte der Klägerin, einer medizinischen Fachangestellten, außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Grund für die Kündigung war das mutmaßlich strafbare Verhalten der Mitarbeiterin, die der Urkundenfälschung im Zusammenhang mit der Coronaschutzimpfung ihres Mannes beschuldigt wurde, indem sie vermeintlich wahrheitswidrige Eintragungen in den Impfausweis ihres Mannes vorgenommen hatte. Die Kündigung wurde gegenüber der Arbeitnehmerin während ihrer Schwangerschaft ausgesprochen und nach der Entbindung wiederholt. Fraglich war, ob die Kündigung der medizinischen Fachangestellten wirksam per Einwurf-Einschreiben zugestellt wurde. Die Arbeitgeberin behauptet, die Kündigung durch Einwurf in den Briefkasten (sog. Einwurf-Einschreiben) der Arbeitnehmerin zugestellt zu haben. Um dies zu beweisen hätte sie jedoch den Zugang des Schreibens ausreichend nachweisen müssen. Die Beklagte legte als Beweis den Einlieferungsbeleg und den Sendungsstatus der Deutschen Post AG vor.
Die Arbeitnehmerin bestritt jedoch den Zugang und griff die Kündigung zunächst mit einer Klage vor dem Arbeitsgericht Heilbronn an.
Verfahrensgang
Das erstinstanzliche Arbeitsgericht hielt die erste Kündigung, die während der Schwangerschaft ausgesprochen wurde, für unwirksam. Die zweite Kündigung nach der Entbindung wurde hingegen als wirksam angesehen. Der wirksame Zugang der zweiten Kündigung sei durch die von der Beklagten vorgelegten Nachweise in Form des Einlieferungsbelegs und des Sendungsstatus der Deutschen Post AG hinreichend belegt. Eine wirksame Zustellung erfolge demnach ordnungsgemäß, wenn eine mit der Zustellung berufsmäßig befasste Person die Übergabe bestätige. Mit dem Einlieferungsbeleg und dem Statusbericht sei der Zugang des Kündigungsschreibens durch eine Postzustellerin der Deutschen Post AG mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen.
Gegen dieses Urteil legte die Klägerin beim Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg Berufung ein.
Entscheidung LAG
Das LAG hat die Beweisanforderungen für die Arbeitgeberin erhöht. Bei der Abgabe einer empfangsbedürftigen Willenserklärung, wie z.B. einer Kündigung, muss die Absenderin den Zugang bei der Empfängerin sicherstellen. Der Zugang einer Kündigung wird vermutet, wenn sie so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass unter normalen Umständen mit einer Kenntnisnahme zu rechnen ist.
Die Beweislast für den Zugang der Kündigung trägt die Absenderin. Ausreichend wäre ein Anscheinsbeweis. Der Anscheinsbeweis ist eine Beweiswürdigungsregel, die das Gericht berechtigt und verpflichtet, eine gewisse begründete Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer behaupteten Tatsache als Beweis genügen zu lassen. Bei der Zustellung eines Einwurf-Einschreibens sind nach Auffassung des LAG der Einlieferungsbeleg und die Reproduktion des Auslieferungsbeleges der Deutschen Post AG vorzulegen. Aus dem von der Beklagten vorgelegten Sendungsstatus ergebe sich weder der Name der Zustellerin, noch die technische Reproduktion der Unterschrift der Zustellerin. Die Aussagekraft des Statusberichts sei daher zu gering und reiche für die Annahme eines Anscheinsbeweises nicht aus.
Bei einem Einwurf-Einschreiben erhält die Absenderin bei der Aufgabe in der Poststelle einen Einlieferungsbeleg mit einer Sendungsnummer. Das Schriftstück wird dann nach bestimmten Vorgaben mit der Tagespost in den Hausbriefkasten der Empfängerin eingeworfen. Vor dem Einwurf muss die Postmitarbeiterin einen Aufkleber von der Sendung abziehen und auf den Auslieferungsbeleg kleben. Auf dem Auslieferungsbeleg bestätigt die Mitarbeiterin den Einwurf mit genauer Datums- und Zeitangabe, sowie ihrer Unterschrift. Der Auslieferungsbeleg wird anschließend von der Post eingescannt, wobei das Original zerstört wird. Danach ist es für die Absenderin gegen Zahlung einer Gebühr möglich, eine Reproduktion des elektronisch archivierten Auslieferungsbelegs mit den Zustellinformationen zu erhalten.
Nur die Reproduktion des Auslieferungsbelegs in Kombination mit dem Einlieferungsbeleg enthalte ausreichende Informationen für Beweis der Zustellung nach dem ersten Anschein. So hat das LAG Baden-Württemberg bereits in der Vergangenheit entschieden (LAG Baden-Württemberg v. 17. September 2020 - 3 Sa 38/19).
Die Beklagte hat Revision beim Bundesarbeitsgericht (BAG) eingelegt, das noch nicht entschieden hat.
Fazit
Bis zur Entscheidung des BAG sollten Arbeitgeberinnen, die Kündigungen im Betrieb nicht persönlich übergeben können oder wollen, bei der Versendung besondere Vorsicht walten lassen. Das Einschreiben der Deutschen Post ist jedenfalls nicht die sicherste Variante, da es auch hier in der Vergangenheit Sendungen nicht nachvollziehbar verloren gingen. Zudem ist mir der (kostenpflichtigen) Abfrage des Auslieferungsbelegs ein weiterer Arbeitsschritt zur Dokumentation der ordentlichen Zustellung notwendig, so dass man auch direkt die Zustellung per Boten in Erwägung ziehen kann.
*Verwenden wir in Zukunft wegen der besseren Lesbarkeit ausschließlich das generische Femininum oder das generische Maskulinum, sind hiervon ausdrücklich sämtliche Geschlechter mitumfasst.