Ein Gesellschafter-Geschäftsführer, der zu 50% am Stammkapital beteiligt ist, ist ausnahmsweise dann nicht selbstständig, wenn dem anderen Gesellschafter das ausschließliche Recht zusteht, im Falle einer Pattsituation eine Entscheidung zu seinen Gunsten herbeizuführen.
Der Sachverhalt
Die Beklagte, ein Rentenversicherungsträger, führte am 09.05.2022 bei der Klägerin, einer GmbH, die ein Bauunternehmen für Lieferungen und sonstige Leistungen im Baugewerbe betreibt, eine sozialrechtliche Betriebsprüfung durch. Dabei entstand Streit über die Versicherungs- und Beitragspflicht des beigeladenen Gesellschafter-Geschäftsführers F im Prüfungszeitraum vom 01.01.2018 bis 31.05.2022. F und sein Vater Z sind als Gesellschafter-Geschäftsführer mit jeweils 50 Prozent am Stammkapital beteiligt. Für den Fall der Stimmengleichheit räumte der Gesellschaftsvertrag dem Vater das Sonderrecht ein, über die Pattsituation zu entscheiden.
Ob eine Sozialversicherungspflicht gegeben ist, ergibt sich aus §§ 7 ff. SBG IV. Von der Versicherungspflicht ausgenommen sind grundsätzlich Personen, die hauptberuflich selbstständig erwerbstätig sind, mit Ausnahme von Künstlern, Publizisten und Landwirten. Im vorliegenden Fall kommt es also darauf an, ob F im fraglichen Zeitraum selbstständig tätig war. Bei einer Beteiligung von 50% an einem Unternehmen ist eine Selbstständigkeit in der Regel anzunehmen.
Nach Auffassung der Beklagten hatte F aufgrund der Regelungen im Gesellschaftsvertrag keine umfassende Verhinderungsmacht (sog. Sperrminorität) gegenüber Beschlüssen der Gesellschafterversammlung. Er habe sich daher in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis befunden. Es habe nämlich eine sog. Stichentscheids-Klausel bestanden, wonach Z ein nicht übertragbares und nicht vererbliches gesellschaftsrechtliches Sonderrecht zugestanden habe, bei Stimmengleichheit die Entscheidung in seinem Sinne herbeizuführen.
F müsse daher Sozialversicherungsbeiträge, die Umlage U2 und die Insolvenzgeldumlage in Höhe von 77.000€ nachzahlen.
Die Klägerin macht jedoch geltend, dass F kein Minderheiten-Gesellschafter-Geschäftsführer sei, sondern Anteile von 50% am Stammkapital halte. Bei einer Beteiligung von 50% sei immer von einer Sozialversicherungsfreiheit auszugehen. Zudem weist sie auf die familiäre Verbundenheit von Z und F hin. Die Existenz des Sonderrechts des Z sei übersehen und auch nicht gelebt worden. Die entsprechenden Klauseln seien nach Hinweis durch die Überprüfung auch direkt abgeschafft worden.
Entscheidung SG Landshut
Das Sozialgericht (SG) Landshut wies die Klage in der ersten Instanz ab.
Die Höhe der Kapitalbeteiligung und der damit verbundene Einfluss auf die Gesellschaft stellen einen wesentlichen Unterschied zur abhängigen Beschäftigung dar. Ein/e Gesellschafter-Geschäftsführer:in* sei jedoch nicht allein aufgrund der Höhe seiner Kapitalbeteiligung automatisch selbstständig. Diese hat lediglich Indizwirkung. Für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit, müsste zusätzlich die Möglichkeit bestehen, Beschlüsse der Gesellschafterversammlung zu verhindern und damit Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft zu nehmen. Eine solche Einflussmöglichkeit hatte F im vorliegenden Fall in der antragstellenden Gesellschaft nicht. Grundsätzlich ergibt sich aus einer Beteiligung von 50% zwar die erforderliche Verhinderungsmacht. Diese reicht aber nur dann aus, wenn die Verhinderungsmacht nicht durch andere Stimmrechtsregelungen aus dem Gesellschaftervertrag wieder aufgehoben werden kann.
Entscheidend ist, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer nach dem Gesellschaftervertrag die Möglichkeit hat, die Geschicke der Gesellschaft zu bestimmen oder zumindest Weisungen der Gesellschafterversammlung in seinem Sinne verhindern kann. Nach dem Gesellschaftervertrag der Klägerin hat allein Z bei Stimmengleichheit das unabdingbare Sonderrecht, Beschlüsse zu verhindern. Bezüglich der Wirksamkeit dieser Stichentscheids-Klausel bestünden auch keine rechtlichen Bedenken.
F wurde durch den Gesellschaftsvertrag die Sperrminorität genommen, die ihm aufgrund seiner Beteiligung von 50 % grundsätzlich zusteht. Er sei daher nicht selbstständig tätig, sondern in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis. Zudem sei eine familiäre Verbundenheit oder Rücksichtnahme nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht mehr geeignet, die Stichentscheids-Klausel unbeachtet zu lassen.
*Verwenden wir in Zukunft wegen der besseren Lesbarkeit ausschließlich generische Maskulinum, sind hiervon ausdrücklich sämtliche Geschlechter mitumfasst.