Nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sind geschlechterdiskriminierende Stellenanzeigen wie „Sekretärin gesucht“ unzulässig. Das sollte Arbeitgeber*innen eigentlich bekannt sein, trotzdem sind solche Stellenanzeigen immer noch häufig zu finden. Diesen Umstand machen sich sogenannte AGG-Hopper zu Nutze. Unter dem Begriff AGG-Hopping werden Scheinbewerbungen zusammengefasst, die allein dem Zweck dienen, einen Entschädigungsanspruch wegen Diskriminierung geltend machen zu können. Dazu werden Stellenanzeigen nach Verstößen gegen das AGG durchsucht. Im Falle einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts können dies Anzeigen sein, die eine geschlechtsneutrale Form wie (w/m/d) nicht einhalten. Nach einer abgelehnten Bewerbung besteht dann ein Entschädigungsanspruch nach § 15 AGG. Maßgeblich dabei ist, dass der/die Bewerber*in* kein ernsthaftes Interesse an der Stelle hat, sondern nur an der Entschädigung. Da sich diese am Monatsgehalt der Stelle orientiert, kann so eine Summe von mehreren Tausend Euro „erwirtschaftet“ werden. Das Gericht verurteilt das Geschäftsmodell jedoch als rechtsmissbräuchlich.
Sachverhalt
Von dem Modell profitierte zweitweise auch ein angehender Wirtschaftsjurist im Fernstudium.
Er bewarb sich bei einer Vielzahl von Unternehmen auf Stellenausschreibungen, in denen eine „Sekretärin“ gesucht wurde. Nach Ablehnung machte er den Entschädigungsanspruch nach § 15 AGG wegen Geschlechtsdiskriminierung geltend und erhielt oft mehrere tausend Euro.
Im konkreten Fall bewarb sich der spätere Kläger über das Internetportal Indeed auf eine Stelle als „Sekretärin“ bei der späteren Beklagten, deren Standort 170 Kilometer von seinem aktuellen Wohnort entfernt lag. In seinem Profil auf Indeed hatte der Student allgemeine Angaben zu seiner bisherigen Berufserfahrung und seinen Kenntnissen gemacht. Der Kläger schickte der Beklagten ein Bewerbungsschreiben, in dem er auf seine Berufserfahrung im Bürobereich und seine abgeschlossene Ausbildung zum Industriekaufmann hinwies. Ein Zeugnis oder einen Lebenslauf fügte er nicht bei. Außerdem wies das Anschreiben Rechtschreibfehler und komplizierte, wenig ansprechende Satzstrukturen auf. Das Unternehmen antwortete nicht, woraufhin der angehende Wirtschaftsjurist das Unternehmen auf Entschädigung wegen Geschlechterdiskriminierung verklagte.
Fraglich ist, ob das Vorgehen des Klägers als AGG-Hopping zu qualifizieren ist.
Instanzenzug
Der Kläger erschien zunächst nicht vor Gericht, weshalb ein Versäumnisurteil [LINK] erging und die Klage abgewiesen wurden. Dagegen legte der Kläger Einspruch ein und beantragte, das Versäumnisurteil aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen. Infolgedessen wurde die Klage vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Dortmund verhandelt. In dem Verfahren wurde bekannt, dass der Kläger in ganz Deutschland nach dem gleichen Muster vorgegangen war und nach Auffassung des ArbG Dortmund rechtsmissbräuchlich gehandelt habe. Das ArbG Dortmund wies die Klage ab, woraufhin der Student Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm einlegte.
Entscheidung des LAG Hamm
Das LAG Hamm bejaht in seiner Entscheidung zwar grundsätzlich einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot wegen des Geschlechts nach § 7 Abs. 1 AGG. Dem daraus resultierenden Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG könnte jedoch der Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB entgegenstehen. Denn Rechte oder Rechtspositionen, die durch unredliches Verhalten erworben wurden, sind nicht schutzwürdig. Der Geltendmachung entsprechender Rechte kann daher der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegengehalten werden. Ein Rechtsmissbrauch läge vor, wenn dem Kläger ein systematisches und zielgerichtetes Vorgehen nachgewiesen werden könnte. Es müsste ihm allein darum gegangen sein, aus dem Entschädigungsanspruch einen Vorteil zu ziehen.
Das beklagte Unternehmen konnte eine Vielzahl von Unternehmen vorweisen, die der Student verklagt hatte. Allein in Berlin seien es elf Klagen innerhalb von 15 Monaten gewesen, weitere in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen.
Aus den bisherigen Verfahren lasse sich ein systematisches Vorgehen ableiten. In den jeweiligen Bewerbungsschreiben fänden sich Rechtschreib- und Formfehler, umständliche Formulierungen und gänzlich fehlende Anlagen. Die Bewerbungen seien geradezu darauf angelegt gewesen, nicht zum Erfolg zu führen. Im konkreten Fall habe der Kläger angegeben, sich einen Umzug gut vorstellen zu können. Die gleiche Formulierung habe er bereits in einem früheren Verfahren vor dem LAG Schleswig-Holstein verwendet. Konkrete Gründe für seine Umzugsbereitschaft habe er jedoch nicht genannt, so dass der Vortrag vorgeschoben erscheine. Darüber hinaus liege ein ernsthaftes Interesse eines Vollzeitstudenten des Wirtschaftsrechts an einer Vollzeitstelle fern.
Der Student habe sich zudem intensiv mit der aktuellen Rechtsprechung zum „AGG-Hopping“ auseinandergesetzt und sein Verhalten entsprechend angepasst. So habe er zunächst ausdrücklich gefragt, ob nur eine „Sekretärin“ gesucht werde, und darauf hingewiesen, dass er ein Mann sei. Als ihm dies in einem verlorenen Verfahren zur Last gelegt worden war, habe er seine Strategie geändert und die Merkmale, die auf einen Rechtsmissbrauch hindeuten könnten, nach und nach reduziert. Aufgrund dieser Angleichungen bezeichneten die Richter*innen in Hamm sein Vorgehen als „Geschäftsmodell in zweiter Generation“. Außerdem habe der angehende Wirtschaftsjurist seine Argumentation ausschließlich auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts oder anderer Autoritäten gestützt. Dabei habe er nicht dargelegt, warum ausgerechnet er für die fragliche Stelle besonders geeignet gewesen sei.
Der Kläger habe demnach nur den formalen Status eines Bewerbers erlangen wollen, um anschließend einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG zu erhalten. Die Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB lägen vor.
Der Kläger hält die Recherche der Beklagten jedoch für unzulässig. Das Vorgehen der Beklagten stelle seiner Ansicht nach, eine unzulässige Verarbeitung personenbezogener Daten nach Art. 4 Nr. 2 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) [LINK] dar. Das LAG Hamm stellt jedoch fest, dass Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO eine zulässige Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung der Beklagten darstelle. Denn als Beklagte sei sie vor Gericht beweispflichtig, weshalb sie ein berechtigtes Interesse an der Datenverarbeitung habe. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Beklagte rechtswidrige Nachforschungen angestellt habe. Somit sei das Interesse des Klägers an der Nichtverarbeitung seiner Daten nachrangig.
Die Berufung des Klägers vor dem LAG Hamm blieb erfolglos. Der Kläger hat Revision beim Bundesarbeitsgericht eingelegt.
*Verwenden wir in Zukunft wegen der besseren Lesbarkeit ausschließlich das generische Femininum oder das generische Maskulinum, sind hiervon ausdrücklich sämtliche Geschlechter mitumfasst.