Ist man abhängig von seinem Ehepartner und Mitgesellschafter, auch wenn man ganz nach eigenem Gutdünken handeln kann? Dieser Frage hatte sich das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) in einem etwas anderen Gewand zu stellen. Konkret ging es um die Sozialversicherungspflicht eines Geschäftsführers innerhalb einer Familiengesellschaft.
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Alleingesellschafterin war die Ehefrau des Geschäftsführers der Gesellschaft.
Der Ehemann war als Dachdeckermeister und Branchenkenner für die wirtschaftliche Ausrichtung der Gesellschaft allein verantwortlich. Nach den Regelungen des Gesellschaftsvertrags oblag dem Ehemann die verantwortliche Leitung und Überwachung des gesamten Geschäftsbetriebes sowie die Vertretung der Gesellschaft. Er war dabei verpflichtet, die Weisungen der Gesellschafter zu befolgen. Dabei hatte er der GmbH seine gesamte Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen, wobei eine Nebentätigkeit der vorherigen Zustimmung bedurfte. Dafür erhielt er ein festes Jahresgehalt in Höhe von 66.000 € brutto und zusätzlich Ersatz von Spesen und einen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub. Der Ehemann vermietete der GmbH die Geschäftsräume sowie wesentliche Betriebsmittel und gewährte ihr ein Darlehen über insgesamt 110.000 €.
Eine im Jahr 2013 für die Jahre 2009 bis 2012 abgeschlossene Betriebsprüfung blieb bis auf Feststellungen zur unzutreffenden Beurteilung von Urlaubsabgeltungen ohne Beanstandung. Aufgrund einer späteren Betriebsprüfung im Jahr 2017 für den Zeitraum von Januar 2013 bis Dezember 2016 wurde eine Forderung von Beiträgen und Umlagen zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 61.677,54 € für die Tätigkeit des Ehemanns als Geschäftsführer festgesetzt.
Instanzenzug
Dagegen klagte die GmbH im Rahmen eines Betriebsprüfungsverfahrens nach § 28p Sozialgesetzbuch (SGB) viertes Buch (IV) vor dem Sozialgericht Detmold. Dieses hat die Klage durch Urteil vom 25.11.2020 ohne mündliche Verhandlung abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin am 15.01.2021 Berufung vor dem Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen eingelegt. Die Beteiligten sind mit gerichtlichem Schreiben vom 21.12.2023 darauf hingewiesen worden, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg habe und beabsichtigt sei, diese gem. § 153 IV Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss zurückzuweisen. Dies kann das LSG, wenn es die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält. Die GmbH hat ihre Berufung daraufhin bekräftigt und beantragt, die Revision zuzulassen.
Die finale Entscheidung des Gerichts
Das LSG hat die Berufung nach § 153 IV SGG durch Beschluss zurückgewiesen und eine Revision nicht zugelassen.
Die Sozialversicherungspflicht des Ehemanns beurteile sich nach § 7 I SGB IV und damit am Vorliegen einer nichtselbstständigen Arbeit. Hierzu führte das Gericht aus, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) eine abhängige Beschäftigung voraussetze, dass der/die Arbeitnehmer:in im Gesamtbild von dem/der Arbeitgeber:in* persönlich abhängig sei und dabei einem umfassenden Weisungsrecht unterliege. Diese Grundsätze seien auch auf den Geschäftsführer einer GmbH anzuwenden. Entscheidendes Kriterium sei dabei die Rechtsmacht des Geschäftsführers. Dieser müsse in der Lage sein, nicht genehme Weisungen zu verhindern. Eine solche Rechtsmacht beinhalte die Beteiligung am Gesellschaftskapital (Gesellschafter-Geschäftsführer) in Form der Möglichkeit der Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung. Dafür benötige es mindestens die Hälfte der Anteile am Stammkapital oder, bei einer geringeren Kapitalbeteiligung, eine umfassende, die gesamte Unternehmenstätigkeit betreffende Sperrminorität.
Nach der früheren sog. „Kopf und Seele“- Rechtsprechung (auch „Schönwetter-Selbstständigkeit“ genannt) konnte eine Selbstständigkeit bei einem Fremdgeschäftsführer auch dann angenommen werden, wenn dieser aufgrund von besonderer Fachkenntnis oder familiären Beziehungen faktisch, wie ein Alleininhaber die Geschäfte nach eigenem Gutdünken führen konnte und somit als „Kopf und Seele“ der Gesellschaft gehandelt hat. Damit war es ausreichend, dass der Weisungsbefugte faktisch auf sein Weisungsrecht verzichtet hat. Der 12. Senat des Bundessozialgerichts hat jedoch die Aufgabe dieser Rechtsprechung bereits wiederholt zum Ausdruck gebracht.
In Hinblick darauf stellte das LSG fest, dass beim Fremdgeschäftsführer eine Rechtsmacht grundsätzlich ausscheide. Eine "Schönwetter-Selbstständigkeit" sei mit Blick auf das Erfordernis der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände nicht hinnehmbar. Danach sei der Ehemann als Fremdgeschäftsführer abhängig beschäftigt gewesen, da er der Weisungsmacht seiner Ehefrau unterlag und diese weder ausgeschlossen, noch eingeschränkt war. Bestätigt würde dies durch die arbeitnehmertypische Ausgestaltung der Geschäftsführertätigkeit im Gesellschaftsvertrag, namentlich das feste Jahresgehalt und das Urlaubsgeld. Insbesondere könne der Umstand, dass der Ehemann als Vermieter der Betriebsstätte und wesentlicher Betriebsmittel sowie Darlehensgeber in der Lage ist, wirtschaftlichen Druck auf die Klägerin auszuüben, keine einem Gesellschafter-Geschäftsführer ähnliche Einflussmöglichkeit begründen.
Die Klägerin könne sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen. Eine verfassungsrechtlich relevante Abkehr von früheren Rechtsprechungsmaßstäben zur Versicherungspflicht von GmbH-Geschäftsführern in Familiengesellschaften aufgrund der "Kopf und Seele“-Rechtsprechung gäbe es nicht. Dies hatte zuvor bereits das Bundessozialgericht so entschieden.
Auch die vorherige Betriebsprüfung, in welcher die Sozialversicherungspflicht nicht beanstandet wurde, entfalte keine Bindungswirkung. Denn mangels einer Regelung zur Versicherungspflicht des Ehemanns im vorigen Betriebsprüfbescheid läge diesbezüglich auch kein feststellender Verwaltungsakt vor, welcher Anknüpfungspunkt für einen Vertrauensschutz sein könne.
Schlussfolgerungen für die Sozialversicherungspflicht von Gesellschafter in Familiengesellschaften
Die Entscheidung hat die Abkehr von der „Kopf und Seele“-Rechtsprechung bestätigt und exemplarisch dargelegt, dass es bezüglich der Sozialversicherungspflicht nicht auf eine faktische, sondern nur auf eine tatsächliche Rechtsmacht ankommt. Die Weisungsgebundenheit rückt dadurch ins Zentrum der Beurteilung. Hierzu haben sich bezüglich des Geschäftsführers einer GmbH bereits konkrete Anforderungen herauskristallisiert. Entscheidend dabei ist, dass sich die Rechtsmacht aus dem Gesellschaftsvertrag selbst zu ergeben hat. Die durch die Beitragspflicht entstehende finanzielle Belastung ist, wie dieser Beschluss zeigt, insbesondere dann beträchtlich, wenn diese im Rahmen einer Betriebsprüfung festgestellt wird. Dann sind unter Umständen die Beiträge der letzten fünf Jahre, bei Vorsatz sogar der letzten 30 Jahre, nachzuzahlen. Es gilt mithin rechtzeitig zu klären, ob eine Beitragspflicht des Geschäftsführers vorliegt.
Sie sind Geschäftsführer oder Gesellschafter und haben Fragen zur Sozialversicherungspflicht und benötigen soliden Rechtsrat zur Gestaltung von Geschäftsführerdienstverträgen oder gesellschaftsrechtlichen Vereinbarungen, dann sprechen Sie uns an.
*Verwenden wir in Zukunft wegen der besseren Lesbarkeit ausschließlich das generische Femininum oder das generische Maskulinum, sind hiervon ausdrücklich sämtliche Geschlechter mitumfasst.