Die Reform des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) im Jahr 2020 hat die Prozessführungsbefugnis, also die Frage, wann die Gemeinschaft und wann einzelne Wohnungseigentümer vor Gericht ziehen können, neu geregelt. Der bis zur Reform geltende § 10 Abs. 6 S. 3 Halbsatz 2 des WEG hatte eindeutig vorgesehen, dass Eigentümergemeinschaften Mängelrechte aus individuellen Kauf- oder Werkverträgen der Erwerber durch Beschluss an sich ziehen und durchsetzen können. Bei der Gesetzesänderung entfiel diese Regelung der "Vergemeinschaftung durch Beschluss" ersatzlos.

Mit Urteil vom 11.11.2022 hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass Gemeinschaften von Wohnungseigentümern auch nach der WEG-Reform die auf Beseitigung von Mängeln am Gemeinschaftseigentum gerichteten Rechte der Erwerber von Wohnungseigentum weiterhin durch Mehrheitsbeschluss zur alleinigen Durchsetzung an sich ziehen können.

Sachverhalt

Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte, ein Immobilienunternehmen, einen in München belegenen Gebäudekomplex in Wohnungseigentum aufgeteilt und begonnen, die Einheiten zu verkaufen. Für den ursprünglich beabsichtigten Bau einer Tiefgarage ließ sie die Böden des Innenhofs und der Außenflächen der Anlage untersuchen. Dabei stellte sich heraus, dass die Anlage auf dem Gelände einer ehemaligen Kiesgrube steht, deren aufgefüllte Böden unterschiedlich mit Schadstoffen belastet sind. Die Beklagte stoppte daraufhin den weiteren Vertrieb der Wohnungen. In einer von der Beklagten in Auftrag gegebenen gutachterlichen Bewertung der Untersuchungsergebnisse wurde für den Innenhof ein Bodenaustausch bis zu einer Tiefe von 30 cm vorgeschlagen. Auf einen Austausch in größeren Tiefen könne verzichtet werden, weil in absehbarer Zeit eine Tiefgarage gebaut und dann die komplette belastete Auffüllung ausgetauscht werde. Die Beklagte setzte den Verkauf der Wohnungen fort, wobei sie in den Kaufverträgen auf die Schadstoffbelastung hin und verpflichtete sich zur Durchführung der für den Innenhof vorgeschlagenen Sicherungsmaßnahmen. In der Folgezeit tauschte die Beklagte den Oberboden des Innenhofes in einer Tiefe von 20 cm aus. Der Bau der Tiefgarage erfolgte nicht.

Die Wohnungseigentümer beschlossen in zwei Eigentümerversammlungen in den Jahren 2014 und 2015 mehrheitlich, die möglichen Ansprüche wegen Altlasten im Innenhof und im südlichen Außenbereich gegen die beklagte Verkäuferin klageweise geltend zu machen.

Bisheriger Prozessverlauf

Das Landgericht hat der mit dem Hauptantrag beanspruchten Feststellung des Bestehens von Mängelansprüchen der Klägerin im Zusammenhang mit den in der Wohnungseigentumsanlage vorhandenen Altlasten teilweise stattgegeben.

In der Berufungsinstanz hat das Oberlandesgericht auf den Hilfsantrag der Klägerin die Beklagte zur Beseitigung der vorhandenen Altlasten durch Sanierung des Innenhofs und des südlichen Außenbereichs verurteilt. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision will die Beklagte die vollständige Abweisung der Klage erreichen. Sie wendet sich insbesondere gegen die Annahme der Prozessführungsbefugnis der Klägerin durch das Berufungsgericht aufgrund der während des Verfahrens in Kraft getretenen WEG-Reform.

Der Bundesgerichtshof hat das Urteil auf die Revision der Beklagten aufgehoben, soweit die Beklagte zur Mängelbeseitigung verurteilt wurde. Insoweit ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen worden.

Der Hilfsantrag ist zulässig. Insbesondere ist die Klägerin für die Geltendmachung des Nachbesserungsanspruchs prozessführungsbefugt. Dies beruht auf den gefassten Beschlüssen der Wohnungseigentümer.

Die Begründung des Gerichts

Auf der Grundlage des Wohnungseigentumsgesetzes in der bis zum 30. November 2020 geltenden Fassung, konnte die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer im Rahmen der ordnungsmäßigen Verwaltung die Ausübung der den einzelnen Erwerbern aus den jeweiligen Verträgen mit dem Veräußerer zustehenden Rechte auf ordnungsgemäße Herstellung des Gemeinschaftseigentums gemäß § 10 Abs. 6 S. 3 Halbsatz 2 WEG a.F. durch Mehrheitsbeschluss an sich ziehen (sog. „gekorene Ausübungsbefugnis“). Allerdings ist die Regelung zu der "Vergemeinschaftung durch Mehrheitsbeschluss" in § 10 Abs. 6 S. 3 Halbsatz 2 WEG a.F. infolge der während des Berufungsverfahrens in Kraft getretenen Reform des Wohnungseigentumsgesetzes ersatzlos entfallen.

Nunmehr regelt § 9a Abs. 2 WEG nur noch die sogenannte „geborene Ausübungsbefugnis“. Danach kann die Gemeinschaft die sich aus dem Gemeinschaftseigentum ergebenden Rechte sowie solche Rechte der Wohnungseigentümer ausüben, die eine einheitliche Rechtsverfolgung erfordern, und die entsprechenden Pflichten der Wohnungseigentümer wahrnehmen. Die vorher explizit im Gesetz verankerte Möglichkeit der "Vergemeinschaftung durch Mehrheitsbeschluss" der Mängelrechte ist in der neuen Regelung nicht mehr enthalten.

Allerdings führt diese Gesetzesänderung nicht zu einem Entfallen der Prozessführungsbefugnis der Klägerin. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer kann solche Rechte auch nach der Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes weiterhin durch Mehrheitsbeschluss zur alleinigen Durchsetzung an sich ziehen.

Zwar erfasst § 9a Abs. 2 WEG jedenfalls nicht die primären Mängelrechte der Wohnungseigentümer. Die Ansprüche ergeben sich nicht aus dem Gemeinschaftseigentum, sondern aus dem jeweiligen Erwerbsvertrag. Sie erfordern auch keine einheitliche Rechtsverfolgung. Denn der Wohnungseigentümer, der selbständig die Beseitigung der Mängel am Gemeinschaftseigentum gegen den Veräußerer verfolgt, handelt grundsätzlich auch im wohlverstandenen Interesse aller anderen Wohnungseigentümer, und er darf seine vertraglichen Rechte im Grundsatz selbst wahrnehmen.

Andererseits wird eine Vergemeinschaftung der auf das Gemeinschaftseigentum bezogenen Erfüllungs- und Nacherfüllungsansprüche der Wohnungseigentümer durch § 9a Abs. 2 WEG auch nicht ausgeschlossen. Die Beschlusskompetenz der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ergibt sich in der Sache unverändert aufgrund der Verwaltungsbefugnis für das gemeinschaftliche Eigentum sowie der in § 19 Abs. 2 Nr. 2 WEG geregelten Pflicht zu dessen Erhaltung. Hierfür spricht auch die Gesetzesbegründung, der zufolge die bisherige Rechtsprechung des BGH zum Bauträgerrecht beibehalten werden soll. Danach war eine Vergemeinschaftung von werkvertraglichen Erfüllungs- und Nacherfüllungsansprüchen möglich. Entsprechendes muss für die Vergemeinschaftung von kaufrechtlichen Erfüllungs- und Nacherfüllungsansprüchen gelten. Nur diese Sichtweise trägt der nach der Gesetzesänderung unveränderten Interessenlage der Wohnungseigentümer hinreichend Rechnung.

In der Sache verwies der BGH an die Vorinstanz zurück – es seien weitere Untersuchungen des Bodens nötig, um einen Mangel feststellen zu können.

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