Das bundesweit tätige Autopfandleihhaus Pfando mit Sitz in Berlin hat in mindestens einem Fall wucherähnlich gehandelt und muss Schadensersatz zahlen. Das entschied der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit seinen Urteilen vom 16.11.2022 (Urt. v. 16.11.2022, Az. VIII ZR 221/21, VIII ZR 288/21, VIII ZR 290/21 und VIII ZR 436/21).
Zum Sachverhalt
Das staatlich zugelassene Pfandleihhaus Pfando kauft im Rahmen seiner Geschäftstätigkeit Kraftfahrzeuge an und vermietet diese an die Verkäufer zurück ("sale and rent back"). Am Ende des Mietverhältnisses gibt Pfando die Kraftfahrzeuge zur öffentlichen Versteigerung, an der die Mieter bzw. ehemaligen Verkäufer selbst teilnehmen können. So spielte es sich auch in allen vier Fällen ab, über die der BGH vorliegend entschieden hat.
In einem der vier Fälle (Verfahren VIII ZR 436/21 vor dem BGH), verkaufte der Kläger seinen BMW M5 im Januar 2018 für 5.000 EUR an das Pfandleihhaus. Das Fahrzeug hatte zu diesem Zeitpunkt einen Händlereinkaufswert von 13.700 EUR. Bis Oktober 2018 zahlte der Verkäufer an Pfando eine monatliche Miete in Höhe von 495 EUR, insgesamt also 4.455 EUR zuzüglich einer Bearbeitungsgebühr von 99 EUR.Wegen einer ausbleibenden Monatsmiete, kündigte Pfando den Mietvertrag und ließ das Kraftfahrzeug öffentlich versteigern. An der Versteigerung nahm das Pfandleihhaus selbst teil, erwarb das Fahrzeug, das zu diesem Zeitpunkt einen Wiederbeschaffungswert von 16.000 EUR hatte, und veräußerte es anschließend weiter.
Das Berufungsgericht OLG Hamm sah in dieser Praxis ein gemäß § 34 Abs. 4 Gewerbeordnung (GewO) verbotenes Rückkaufgeschäft. Der Verstoß gegen § 34 Abs. 4 GewO führe gemäß § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zur Nichtigkeit der geschlossenen Kauf- und Mietverträge. Zusätzlich stützte das OLG Hamm die Nichtigkeit auf das Vorliegen eines wucherähnlichen Geschäfts gem. § 138 Abs. 1 BGB undverurteilte das Pfandleihhaus zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 15.545 EUR nebst Zinsen (OLG Hamm, Urteil vom 2. August 2021, Az.: 18 U 105/20).
Entscheidung des BGH
Der Bundesgerichtshof bestätigte die Verurteilung des Pfandleihhauses zur Leistung von Schadensersatz in seinem Urteil vom 16.11.2022. Zwar liege kein Verstoß gegen das in § 34 Abs. 4 GewO normierte Verbot des Rückkaufshandels vor und die geschlossenen Verträge seien daher nicht gemäß § 134 BGB nichtig.
Das OLG Hamm habe aber in der Sache VIII ZR 436/21 seine Entscheidung zu Recht darauf gestützt, dass ein wucherähnliches Rechtsgeschäft gem. § 138 Abs. 1 BGB vorliegt, sodass der Kauf- und Mietvertrag sowie die sich anschließende Übereignung aus diesem Grund nichtig sind.
Kein Verbotener Rückkaufhandel
Das von Pfando vorgegebene Vertragsmodell des gewerblichen Ankaufs von Kraftfahrzeugen unter anschließender Vermietung an die Verkäufer und späterer Verwertung durch öffentliche Versteigerung unterfällt nicht dem in § 34 Abs. 4 GewO normierten Verbot des Rückkaufhandels. Denn hierfür bedürfe es der Vereinbarung eines Rechts des Verkäufers zum Rückerwerb der Sache. Ein solches Recht liege im vorliegenden Fall gerade nicht vor. Die Verkäufer hätten lediglich faktisch die Möglichkeit gehabt, das zuvor an das Pfandleihhaus veräußerte Fahrzeug im Wege der Teilnahme an der öffentlichen Versteigerung durch Zuschlag wieder zurückzuerwerben.
Ein wucherähnliches Rechtsgeschäft
Mit der von Pfando betriebenen "sale and rent back"-Praxis liege ein wucherähnliches Rechtsgeschäft gem. § 138 Abs. 1 BGB vor. Das besonders grobe Missverhältnis zwischen dem an den Kläger gezahlten Kaufpreis in Höhe von 5.000 EUR und dem zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags bestehenden Händlereinkaufswerts in Höhe von 13.700 EUR lasse „eine verwerfliche Gesinnung“ des Pfandleihhauses vermuten. Die angesichts dieser Umstände gegen Pfando sprechende tatsächliche Vermutung, dass es bewusst oder grob fahrlässig einen den Kläger in dessen Entscheidungsfreiheit beeinträchtigenden Umstand zu seinen Gunsten ausgenutzt hat, konnte nicht widerlegt werden. Vielmehr spreche auch die hohe monatliche Miete für eine „Übervorteilung des Klägers“.
Die Entscheidung des OLG Hamm hat also Bestand. In den übrigen drei vor dem BGH verhandelten Fällen (VIII ZR 221/21, VIII ZR 290/21, VIII ZR 436/21) wurde den Klagen durch die Berufungsgerichte ebenfalls stattgegen. Diese stützten ihr Urteil aber ausschließlich auf das Vorliegen eines verbotenen Rückkaufshandels nach § 34 Abs. 4 GewO und wurden durch den BGH aufgehoben. Die jeweiligen Vorinstanzen sollen nun prüfen, ob hier ebenfalls Wucher vorgelegen hat und die Verträge wegen arglistiger Täuschung der Kunden gem. § 142 Abs. 1 BGB nichtig sind.