Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich kürzlich mit der Frage beschäftigt, ob nationale Fernsehsender auch regionale Werbung ausspielen dürfen (EuGH, Urteil vom 03.02.2021 – C-555/19). Das Landgericht (LG) Stuttgart hatte ihm zuvor diese Frage im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchen gestellt. Der EuGH gab die Sache an das LG Stuttgart zurück, das nun mit Urteil vom 23.12.2021 (Az. 20 O 43/19) entschied.
Angestoßen wurde die Entscheidung von der SevenOneMedia GmbH, der Vermarktungsgesellschaft von ProSiebenSat1 und des österreichischen Modeunternehmens Fussl Modestraße Mayr, die bei der Sendergruppe auf regionaler Ebene ausschließlich in Bayern Werbung ausspielen wollte. Die SevenOneMedia GmbH verweigerte dies mit Blick auf das Verbot regionaler Werbung in bundesweiten Programmen. Fussl Modestraße Mayr erhob daraufhin Klage.
Kern des Sachverhaltes ist das Verbot für nationale Fernsehsender, in ihr Programm nur regional ausgestrahlte Werbung aufzunehmen, das in § 8 Abs. 11 Medienstaatsvertrag (MStV) geregelt ist. Hintergrund und Ziel dieses Verbotes ist der Erhalt der lokalen Fernsehveranstalter: Indem regionale Werbung den regionalen Sendern vorbehalten sind, sei sowohl deren Finanzierung und Funktionsfähigkeit als auch ein meinungspluralistisches Angebot gesichert. Das Verbot diene somit dem kulturpolitischen Interesse. Die Bundesländer dürfen hiervon abweichen und die Ausstrahlung erlauben (Öffnungsklausel), allerdings hat das bisher noch keines der Bundesländer getan. Das LG Stuttgart ist der Meinung, dass dieses Verbot gegen Unionsrecht, insbesondere den Gleichbehandlungsgrundsatz gem. Art. 29 Grundrechtscharta (GrCH) als auch die Dienstleistungsfreiheit gem. Art. 56 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verstößt.
Der EuGH sieht die Möglichkeit, dass eine Ungleichbehandlung von Fernsehveranstaltern und Anbietern von Werbung im Internet vorliegen könnte, da letztere gezielt regionale Werbung schalten können.
Weiterhin sieht der EuGH in dem Verbot gem. § 8 Abs. 11 MStV einen Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit gem. Art. 56 AEUV. Im Rahmen der Rechtfertigung sei fraglich, ob das Verbot geeignet und erforderlich sei, sein Ziel zu erreichen, denn die Bundesländer können über die Öffnungsklausel auch weniger beschränkende Maßnahmen erlassen.
Der EuGH gab die Sache zur Entscheidung damit zurück an das LG Stuttgart, das nun unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils zu entscheiden hatte, ob die Voraussetzungen zur Rechtfertigung der Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs und eine Ungleichbehandlung nationaler Fernsehsender und der Anbieter von Internet-Werbung vorliegen. Das LG Stuttgart hat dies mit Urteil vom 23.12.2021 (Az. 20 O 43/19) verneint und hält das regionale Fernsehwerbeverbot für europarechtswidrig. ProSiebenSat.1 wurde nun dazu verurteilt, regionale Werbung ausstrahlen.
Das LG Stuttgart begründet dies folgendermaßen: Die über Internetplattformen erbrachte Werbung auf dem regionalen Markt stellt eine echte Konkurrenz für die regionalen und lokalen Fernsehveranstalter dar. Von ihnen geht die gleiche Gefahr für das finanzielle Wohlergehen und den Fortbestand der lokalen Sender aus, da sie in ähnlichem Maße wie die nationalen Sender die Einnahmen gefährden, die die lokalen Sender erwirtschaften können. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, die Beklagte kann Berufung einlegen.
Spannend an der Entscheidung ist deren weisungsrichtende Schlagkraft: Die lokale Ausspielung der Werbung genau wie das jederzeit abrufbare Fernsehen mitsamt entsprechender Werbung wird zum new-normal. Der Maßstab der bundeseinheitlichen Ausspielung ist veraltet. Nicht zuletzt manifestiert sich an dem vorliegenden Sachverhalt und den bisherigen Entscheidungen wieder deutlich ein grundlegendes Phänomen: Neue technische Entwicklungen bestimmen die Realität, das Recht kommt nur zögerlich und recht schleppend hinterher.