Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) am 13.09.2022 kam überraschend: Eigentlich sollte sie sich mit den Rechten des Betriebsrates beschäftigten. Die Richter stellten jedoch darüber hinaus fest, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, die Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erfassen . Diese Pflicht gilt ab sofort.

Der Sachverhalt

Der antragstellende Betriebsrat schloss mit dem Arbeitgeber eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit und verhandelte zeitgleich über eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung. Die Verhandlungen blieben jedoch erfolglos. Der Betriebsrat zog vor Gericht, um sein Initiativrecht für die Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems feststellen zu lassen. Diesem Antrag gab das Landesarbeitsgericht Hamm statt (Az. 7 TaBV 79/20). Die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers vor dem BAG hatte nun aber Erfolg.

Die Gründe

Eine betriebliche Mitbestimmung oder ein Initiativrecht sei gem. § 87 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ausgeschlossen, wenn es bereits eine gesetzliche Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung gebe. Eine solche stützt sich laut dem BAG auf § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), wonach der Arbeitgeber zur Sicherung des Gesundheitsschutzes für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen habe. Dies ist Ergebnis einer unionsrechtskonformen Auslegung des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte in seinem sog. Stechuhr-Urteil entschieden, dass die Mitgliedstaaten Arbeitgeber verpflichten müssen, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die tägliche Arbeitszeit ihrer Beschäftigten erfasst werden kann (Az. C-55/18). Anderenfalls könne der mit der Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) garantierte Arbeitnehmerschutz nicht gewährleistet werden. Die Begrenzung der Höchstarbeitszeit und der Ruhezeiten stelle ein bedeutendes Recht jedes Arbeitnehmers dar. Es bestehe außerdem die Gefahr, dass Arbeitszeit nicht verlässlich und objektiv ermittelt werde und der Arbeitnehmer als strukturell schwächere Partei seine Rechte nicht durchsetzen könne. Aufgrund dieses Zusammenspiels zwischen Unionsrecht und nationalem Recht kamen die Richter zu einer Pflicht zur Arbeitszeiterfassung. Prozessual unterlag der Betriebsrat somit.

Ausblick

Seit dem Erlass des Urteils des EuGH war es umstritten, ob das Urteil die Arbeitgeber bindet oder nach weit überwiegender Auffassung lediglich die Mitgliedstaaten verpflichtet, eine entsprechende Gesetzesregelung zu schaffen. Bisher müssen nach deutschem Recht gem. § 16 Abs. 2 S. 1 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) nur Überstunden und Sonntagsarbeit dokumentiert werden, nicht die gesamte Arbeitszeit. Eine Gesetzesänderung ist aufgrund der Auslegung des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG nicht unbedingt erforderlich. Der Koalitionsvertrag erwähnt den Anpassungsbedarf aufgrund der Entscheidung des EuGH nur mit wenigen Worten, ein Gesetzesentwurf liegt nicht vor. Arbeitgeber müssen sich jetzt darauf einstellen, die Arbeitszeit zu dokumentieren. Überprüfungs- oder sogar Sanktionsmechanismen sind noch unklar.

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