Das Persönlichkeitsrecht und die Kunstfreiheit. Beides fundamentale und bedeutende Rechte aus unserem Grundgesetz. Was passiert jedoch, wenn sich diese Rechte gegenüberstehen?
Mit dieser Problematik musste sich der Bundesgerichtshof (BGH) im sogenannten „Tina Turner“ Fall beschäftigen (BGH-Urteil vom 24.2.2022 – I ZR 2/21). Die weltbekannte Künstlerin hatte die Produzentin der Show „SIMPLY THE BEST – DIE Tina Turner STORY!“ wegen Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts verklagt. Diese warben mit Plakaten, bei denen eine Doppelgängerin, die Tina Turner in der Show spielen sollte, abgebildet war. Durch die erhebliche Übereinstimmung von Turner und der Doppelgängerin fühlte sich diese aufgrund der Verwendung ihres Bildnisses in ihren Rechten verletzt. Dies stützte die Sängerin darauf, dass es für den Betrachter der Plakate aufgrund der besonderen Übereinstimmung der Äußerlichkeiten nicht erkennbar war, dass nicht sie, die „echte“ Tina Turner an der Show beteiligt ist. Deswegen klagte die Sängerin auf Unterlassung nach §§ 1004 I 2, 823 I des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und aus §§ 23, 23 Kunsturhebergesetz (KUG).
Eingriff in das Persönlichkeitsrecht durch Abbildung eines Doppelgängers
Laut Gericht kommt es für die Bestimmung, ob die Künstlerin oder ein Doppelgänger erkannt wird darauf an, ob bei einem „nicht unerheblicher Teil des angesprochenen Publikums der täuschend echte Eindruck erweckt wird, es handele sich um die darstellte Person selbst. Eine Übereinstimmung kann nicht nur durch den Einsatz eines „Look Alikes“ hervorgerufen werden, sondern auch beispielsweise durch die Nachstellung von berühmten Szenen oder Fotografien (BGH Urteil vom 1.12.1999, I ZR 226/97, „Der blaue Engel“). Wichtig hierbei ist, dass nicht nur Gesichtszüge eine Rolle spielen, sondern sämtliche besonders kennzeichnenden Eigenschaften, durch die eine Verbindung zum Original hergestellt werden können. Im vorliegenden Fall bejahte das Gericht eine erhebliche Ähnlichkeit zur Künstlerin, da das Double in einer für Tina Turner klassischen Pose abgebildet war und diese auch die gleiche Frisur trug.
Zudem bejahte das Gericht einen Eingriff in den vermögensrechtlichen Zuweisungsgehalt, da es auch Teil des Persönlichkeitsrechts sei zu entscheiden, „ob und in welcher Weise das eigene Bildnis für Werbezwecke zur Verfügung gestellt werden soll. Hierdurch soll gerade verhindert werden, dass bekannte Persönlichkeiten für Werbe- und Imagezwecke ausgenutzt werden. Denn bereits im oben genannten Urteil des BGH „Der blaue Engel“, welches eine Abbildung von Marlene Dietrich betraf, entschied der BGH, dass unter dem Persönlichkeitsrecht nicht nur ideelle, sondern auch kommerzielle Interessen der Abgebildeten geschützt werden.
Rechtfertigung des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht nach § 23 I Nr. 4 KUG durch ein höheres Interesse der Kunst
Das Kunsturheberrecht stellt einen besonderen Ausfluss des Persönlichkeitsrechtsschutzes dar, wonach es nach § 22 KUG zur Verbreitung von Bildnissen die Einwilligung der Abgebildeten bedarf. Gerade diese Einwilligung fehlte im vorliegenden Fall. Die Beklagten hatte nur die Rechte zur Nutzung der Songs für die Show von der GEMA erworben.
§ 23 KUG regelt jedoch Ausnahmen, in welchen Fällen eine Einwilligung des Abgebildeten für eine Verwendung nicht notwendig ist. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Abbildung einem höheren Interesse der Kunst dient, nach § 23 Abs. Nr. 4 KUG. Es muss sich also gefragt werden, ob die Abbildung unter die grundrechtlich geschützte Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Var. 1 GG fällt.
„Ist das Kunst oder kann das weg?“
Dieser Spruch darf für die Beurteilung eigentlich keine Rolle spielen, denn die Kunstfreiheit soll jegliche künstlerische Betätigung durch freie schöpferische Gestaltung schützen. Ob die Kunst gut, schön oder besonders ist, spielt keine Rolle. Eine Definition für Kunst zu finden, wurde von den Gerichten weitestgehend aufgegeben. Vor allem vor dem Hintergrund, dass sich Kunst stetig wandelt und auch wandeln soll. Und hierfür muss das Erschaffen frei von Einschränkungen und Einflüssen sein.
Das Gericht war der Auffassung, dass die Show über das Leben von Tina Turner als Kunstwerk eingestuft werden könne und somit von der Kunstfreiheit geschützt werde. Diese schützt auch den Wirkbereich des Kunstwerks, also auch die Darbietung und Verbreitung, worunter das Plakat als Aufmerksam machen der Öffentlichkeit fallen würde.
Die Kunstfreiheit ist zwar grundsätzlich ein starkes Recht, da es keine geschriebenen Schranken hat, also nicht von einfachen Gesetzen eingeschränkt werden darf und kann. Jedoch ist der Schutz nicht grenzenlos. Vielmehr kann die Kunstfreiheit durch andere Grundrechte oder durch Güter von Verfassungsrang einschränkt werden.
Für die Abwägung, ob die Kunstfreiheit oder das Persönlichkeitsrecht überwiegt, sei es laut Gericht relevant, ob durch die Plakate die Betrachter Rückschlüsse ziehen würden, dass die „echte“ Tina Turner auftreten oder bei der Show mitwirken würde. Dies war jedoch für den BGH nicht ersichtlich. Dies mag daran liegen, dass die Richter und Richterinnen am BGH Tina Turner als Künstlerin tatsächlich noch aus ihrer aktiven Zeit in Erinnerung haben und ohne Probleme auf den ersten Blick erkennbar erscheint, dass es sich nicht um die „echte“ Tina Turner handeln könne, da diese mittlerweile auch gealtert sein dürfte. Der BGH berief sich darauf, dass sich die Künstlerin seit 2009 im Ruhestand befindet und ein Comeback mit 81 Jahren eher unwahrscheinlich sei. Das Gericht ging zudem davon aus, dass einem Comeback eines Weltstars auch mehr mediale Aufmerksamkeit geschenkt werden würde, als lediglich durch die Plakate vermittelt werde. Vor allem sei die Abbildung auch kein Eingriff in die Intimsphäre, welcher nicht gerechtfertigt werden können, sondern nur ein Eingriff in die Privatsphäre. Ein nicht gerechtfertigter Eingriff in das Persönlichkeitsrecht könne laut Gericht nur vorliegen, wenn der Eindruck erweckt werden würde, dass die wahre Tuner Teil der Inszenierung sei.
Datenschutzrecht hilft hier auch nicht weiter
Das Gericht beschäftigte sich auch mit einem möglichen Eingriff in das Datenschutzrecht von Tina Turner. Datenschutzrecht war hier einschlägig, da auch Bildnisse einer natürlichen Person in Form von visuellen Informationen Rückschlüsse über diese geben können und damit personenbezogene Daten darstellen. Jedoch kam das Gericht zum Schluss, dass der Eingriff in das Datenschutzrecht aufgrund der gleichen Argumente gerechtfertigt werden könne, die auch beim KUG einschlägig sind und es damit keine Abweichung gäbe.
Die Kunstfreiheit stellt ein wichtiges Recht in unserer Gesellschaft dar. Sie hat eine Informations- und Austauschfunktion und spielt auch in der Entwicklung unserer Gesellschaft eine besondere Rolle. Sie muss grundsätzlich frei von jeglichen Vorgaben sein. Etwas anderes gilt nur, wenn dadurch Rechte, wie das Persönlichkeitsrecht, so erheblich verletzt werden, dass der Eingriff nicht mehr gerechtfertigt werden kann. Auch die Menschenwürde kann die Kunstfreiheit einschränken, wie es bei satirischer Kritik häufiger der Fall ist. Ein weiter Kunstbegriff ist ohne Zweifel der richtige Ansatz für den verfassungsrechtlichen Schutz der Kunst, auch wenn der Umstand, dass eine TV Show wie „SIMPLY THE BEST – DIE Tina Turner STORY!“ damit in den Genuss dieses Schutzes kommt, sicherlich bei einigen Lesern und Leserinnen zumindest Verwunderung hinterlässt.