Crowdsourcing-Unternehmen zergliedern Aufträge in viele verschiedene Kleinaufträge, welche sie meist über eine Onlineplattform an freiwillige User vermitteln. Diese sogenannten Crowdworker führen die Aufträge gegen eine Vergütung aus. Crowdworking existiert in ganz unterschiedlichen Formen. So können z.B. Meinungsumfragen durchgeführt oder Produkte bewertet werden. Im vorliegenden Fall bot das beklagte Crowdsourcing-Unternehmen die Kontrolle von Werbemaßnahmen bei Produkten im Einzelhandel und an Tankstellen an. Als das Unternehmen einem seiner Crowdworker gegenüber erklärte, ihm keine Aufträge mehr anzubieten, klagte dieser. Seiner Ansicht nach bestünde zwischen ihm und der Beklagten ein Arbeitsverhältnis, was durch die Erklärung nicht beendet wurde. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte zu entscheiden, ob ein Crowdworker tatsächlich ein Arbeitnehmer ist (Az. 9 AZR 102/20).
Wann liegt ein Arbeitsverhältnis vor?
Abgegrenzt werden muss der/die selbstständige Unternehmer/in* vom Arbeitnehmer. Der Begriff des Arbeitnehmers richtet sich nach § 611a Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Danach ist Arbeitnehmer, wer zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Maßgeblich ist der Grad der persönlichen Abhängigkeit des Verpflichteten. Indizien für die Weisungsgebundenheit sind u.a. eine detaillierte und einschränkende Vertragsgestaltung sowie die Erwartung der ständigen Dienstbereitschaft. Nicht ausreichend hingegen sind allein zeitliche Vorgaben oder Deadlines. Während sich die Weisung an einen Selbstständigen sachbezogen und ergebnisorientiert gestaltet, ist die Weisung an einen Arbeitnehmer personenbezogen und ablauf- bzw. verfahrensorientiert. Es ist darauf zu achten, ob der Arbeitsvorgang durch den Weisungsberechtigten vorstrukturiert und geplant wird, wodurch die Eigenverantwortlichkeit des anderen faktisch ausgeschlossen wird. Tatsächliche Zwänge können auch durch die vom Auftraggeber geschaffene Organisationsstruktur erzeugt werden, wie bei einer Plattform, die einen Anreiz zur Erfüllung eines bestimmten Arbeitskontingents schafft. Die persönliche Abhängigkeit ist einzelfallabhängig, wobei eine solche eher bei untergeordneten, einfachen Arbeiten besteht. Liegt nach diesen Kriterien ein Arbeitsverhältnis vor, dann ist auch eine entgegenstehende Bezeichnung unbeachtlich.
Wie urteilte das BAG im konkreten Fall?
Die Crowdworking-Tätigkeit des Klägers ordnete das BAG anhand verschiedener Anhaltspunkte als Arbeitsverhältnis ein.
Richtig festgestellt hätte die Vorinstanz zunächst, dass die Basis-Vereinbarung zwischen Crowdworker und Unternehmen nicht den Anforderungen eines Arbeitsvertrages genüge. Wechselseitige Rechte und Pflichten würden nicht bestehen, da weder eine Verpflichtung des Klägers zur Leistung von Diensten, noch eine Verpflichtung des Beklagten zur Annahme eines verfügbaren Auftrags bestehe. Das BAG widersprach der Vorinstanz jedoch in einem Punkt. Bei Gesamtbetrachtung begründe die tatsächliche Durchführung der Aufträge sehr wohl ein Arbeitsverhältnis. Während der Ausführung eines übernommenen Auftrags hätte der Kläger über keinen nennenswerten Entscheidungsspielraum verfügt, da die einzelnen Arbeitsschritte exakt vorgegeben wären. Die geleistete Arbeit sei von weisungsgebundener und fremdbestimmter Art. Dabei wäre vor allem von Bedeutung, dass der Kläger die Kontrollaufgabe persönlich durchzuführen hatte, die geschuldete Tätigkeit ihrer Eigenart nach einfach gelagert sowie ihre Durchführung inhaltlich vorgegeben wäre und dass die konkrete Nutzung der App für die Auftragsbewältigung vorausgesetzt werde. Zuletzt hätte es sich nicht nur um die Erledigung einzelner Kleinstaufträge, sondern um die kontinuierliche Bearbeitung von Auftragsbündeln gehandelt.
Die Uber-Entscheidung des Supreme Courts (UK)
Auch andere europäische Länder müssen sich damit auseinandersetzen, wo die Grenze zur Selbstständigkeit zu ziehen ist. Das englische Arbeitsrecht unterscheidet dabei nicht nur zwei, sondern drei Status. Es gibt zuerst den Arbeitnehmer (employee), der unter einem Arbeitsvertrag angestellt ist. Arbeiter (worker) sind Selbstständige mit eingeschränktem arbeitsrechtlichen Schutz, die ihre Leistungen im Rahmen eines Berufs oder Gewerbes ausführen, das von einem anderen ausgeübt wird. Zuletzt werden noch Selbständige (self-employees) unterschieden, die ihre Leistungen selbstständig für Klienten oder Kunden erbringen. Nur auf Arbeitnehmer findet englisches Arbeitsrecht volle Anwendung.
In der Supreme Court-Entscheidung „Uber BV and other v Aslam and others“ standen sich das Unternehmen Uber und die Erbringer von Fahrdienstleistungen für Uber als Kläger und Beklagte gegenüber. Uber richtete sich gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts, dass die Fahrer als Arbeiter einzustufen seien.
Uber ist ein Vermittlungsdienstleister für Personenbeförderung. Das bedeutet: Fahrer und Passagier werden durch die Uber-App verbunden. Die Fahrer machen sich mittels App-Login für Fahrten verfügbar. Das Unternehmen kontrolliert die Qualitätsanforderungen an seine Fahrer mittels einer Quote für angenommene Fahrten, die nicht unter eine bestimmte Prozentzahl fallen darf. Sonst droht im Ernstfall die Sperrung auf der Plattform. Den Fahrpreis legt Uber fest und behält sich das Recht vor, die Berechnung jederzeit zu ändern. Vor der Nutzung unterschreiben die Fahrer ein Anmeldeformular, in welchem festgelegt wird, dass Uber die Transportleistungen nicht selbst erbringt, sondern nur die geschäftliche Verbindung zwischen Fahrer und Passagier herstellt. Auch die Passagiere müssen Konditionen akzeptieren, wonach das Unternehmen lediglich Intermediär zwischen den Parteien ist.
Aufgrund der Gesamtschau der Umstände stufte der Supreme Court die Fahrer als Arbeiter ein. Arbeiter ist, wer vertraglich verpflichtet ist, Leistungen für eine andere Partei persönlich zu erbringen, wobei die andere Partei kein Kunde der Person sein darf. Zu klären war die Frage, ob die Fahrer die Dienstleistungen für Uber oder nur für und unter Vertrag mit dem Passagier erbrachten. Dass sich das Unternehmen in seinen Konditionen, welchen Fahrer und Passagier zustimmen müssen, als Vermittler bezeichnet, reicht alleine nicht aus. Die Verträge werden oft einseitig durch den Arbeitgeber bestimmt, ohne dass die andere Partei großen Einfluss nehmen kann. Als Arbeiter zählen nicht unabhängige Dienstleister, die in keiner Beziehung zu der Person stehen, die die Leistung empfängt. Laut dem Supreme Court besäßen die Fahrer in einigen Aspekten Autonomie, da sie entscheiden könnten, wann, wie viel und wo sie arbeiten. Jedoch würde Uber die Fahrpreise und Konditionen bestimmen. Dem Fahrer würden über die App auch bestimmte Informationen über den Passagier mitgeteilt, was dessen Entscheidung beeinflussen würde. Die Entscheidungsfreiheit des Fahrers werde weiterhin durch die Qualitätsmaßnahmen beschränkt. Außerdem sei die Kommunikation zwischen Passagier und Fahrer auf das Mindeste beschränkt. Der Transportservice sei somit sehr stark vom Unternehmen kontrolliert. Uber unterlag vor dem Supreme Court und konnte damit seiner Auffassung, die Fahrer seien selbständige Unternehmer, nicht überzeugen.
Die Folgen dieser Entscheidung
Die Konsequenz aus dieser höchstrichterlichen Entscheidung ist, dass die Fahrer Anspruch auf Pausen, bezahlten Urlaub und Mindestlohn haben. In Deutschland ist das der Fall, wenn Fahrer sozialversicherungspflichtig angestellt sind. Häufig werden jedoch die Fahrer als Unternehmer mit eigener GmbH tätig, so dass hier kein arbeitsrechtlicher Schutz besteht.
*Verwenden wir in Zukunft ausschließlich das generische Femininum oder Maskulinum, ist dies ausschließlich der besseren Lesbarkeit geschuldet.