Die Anzahl an Internetapotheken ist in den letzten Jahren enorm gestiegen. Den Kundinnen* ersparen sie den Laufweg, wobei dafür auf die persönliche Bertung verzichtet werden muss. Für stationäre Apotheken stellen Internetapotheken eine erhebliche Konkurrenz dar. Darüber, ob der Vertrieb von Arzneimitteln über die Handelsplattform Amazon zulässig ist, wird im September 2022 der Bundesgerichtshof (BGH) entscheiden (Az. I ZR 222/19 und I 223/19). Wir besprechen hier schonmal den Verfahrensgang und erwarten mit Spannung die Entscheidungen des BGH im September.

In beiden Fällen stehen sich als Parteien des Rechtsstreits Apotheker gegenüber. Die Beklagten vertreiben rezeptfreie apothekenpflichtige Arzneimittel über Amazon. Während dem Apotheker im zweiten Verfahren nur Verstöße gegen datenschutzrechtliche Regelungen vorgeworfen werden, geht es im ersten Verfahren auch um Verstöße gegen § 43 Arzneimittelgesetz (AMG), § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 7, 11 Heilmittelwerbegesetz (HWG), §§ 17 Abs. 3, 3 Abs. 5 der Verordnung über den Betrieb von Apotheken (ApBetrO) und § 14 Abs. 2 Nr. 1 der Berufsordnung der Apothekenkammer Sachsen-Anhalt. Die Kläger verlangen nach §§ 8 Abs. 1, 9 Abs. 1 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) Unterlassung und Schadensersatz.

Verfahren vor dem Landgericht Magdeburg

Der Prozess begann vor dem Landgericht (LG) Magdeburg (Az. 36 O 48/18), welches die Klage mangels Verstöße gegen die oben genannten Normen abwies.
§ 17 Abs. 2 ApBetrO normiert das Verbot, apothekenpflichtige Arzneimittel und Medizinprodukte im Wege der Selbstbedienung in den Verkehr zu bringen. Ein Vertrieb auf einer Handelsplattform sei damit nicht gleichzusetzen, da eine Kontrolle durch den Apotheker stattfinde, der die Bestellung freigeben müsse. Da die Handelsplattform nur als Vermittler des gewünschten Medikaments auftrete, ohne am Vertragsschluss beteiligt zu sein, werde auch § 3 Abs. 5 ApBetrO nicht berührt. Die Norm gebietet, dass pharmazeutische Tätigkeiten nur von pharmazeutischem Personal ausgeführt werden. Für den Versand besaß der die Apotheke Betreibende eine behördliche Erlaubnis, sodass § 43 Abs. 1 S. 1 AMG nicht einschlägig sei. Zuletzt würden die zusätzlichen Werbemaßnahmen von Amazon auch nicht § 11 HWG oder § 14 Abs. 2 Nr. 1 der Berufsordnung verletzen. Diese Aussagen seien dem Beklagten nicht zuzurechnen. Hinsichtlich der Verstöße gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) besitze der Kläger keine Klagebefugnis. Die DSGVO sei ein abschließendes Sanktionssystem, welches nur der Person, deren Rechte auf informationelle Selbstbestimmung verletzt worden sind, der Aufsichtsbehörde oder der Klage eines Verbandes eine Rechtsdurchsetzung erlaubt. Dazu gehören Wettbewerber nicht.

Der Berufung des Klägers vor dem Oberlandesgericht (OLG) Naumburg wurde daraufhin teilweise stattgegeben (Az. 9 U 6/19). Es bestehe ein Unterlassungsanspruch gem. § 8 Abs. 1 UWG i.V.m. § 3a UWG wegen Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 DSGVO. Als Mitbewerber i.S.d. § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG sei der Kläger aktivlegitimiert. Das erforderliche konkrete Wettbewerbsverhältnis sei bei einer stationären Apotheke und einer Internetapotheke der Fall. Unter „Marktverhaltensregeln“ nach § 3a UWG sind Regeln zu verstehen, die einen Wettbewerbsbezug in der Form aufweisen, dass sie die wettbewerblichen Belange der als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen in Betracht kommenden Personen schützt. Nach der umstrittenen Ansicht des OLG Hamburg, welcher sich das OLG Naumburg anschließt, beinhalte die DSGVO derartige Marktverhaltensregeln. Zwar werde in erster Linie die informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen geschützt, gleichwohl verfolge sie das Ziel, den grenzüberschreitenden Verkehr personenbezogener Daten auf ein einheitliches Schutzniveau zu heben. Da Rückschlüsse auf die Gesundheit des Bestellers gezogen werden können, seien die Bestelldaten der Apothekenkunden Gesundheitsdaten i.S.v. Art. 9 Abs. 1 DSGVO. Deswegen sei eine Einwilligung für die Verarbeitung dieser Daten im Rahmen der Bestellung notwendig gewesen, welche aber nicht erfolgt sei. Weitere Verstöße konnte das Gericht nicht feststellen.

Das Verfahren beim LG Dessau-Roßlau

Im Gegensatz zur ersten Entscheidung gab das LG Dessau-Roßlau in diesem Verfahren der Klage statt (Az. 3 O 29/17). Die Gründe lehnen sich an die des OLG Naumburg an. Der Anspruch aus § 8 Abs. 1 UWG i.V.m. § 3a UWG stehe jedem Mitbewerber gem. § 9 Abs. 3 Nr. 1 UWG zu. Die DSGVO-Regelungen seien Marktverhaltensregelungen i.S.v. § 3a UWG. Deshalb hätte es einer Einwilligung gem. § 4 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) a.F. bedurft. Somit verletze der Vertrieb der Medikamente datenschutzrechtliche Vorschriften.
Die darauffolgende Berufung des Beklagten wies das OLG Naumburg zurück (Az. 9 U 39/18). Die Gründe dafür entsprachen im Wesentlichen der zuvor erfolgten Entscheidung.

Ausblick

Es bleibt abzuwarten, wie der BGH entscheiden wird. Im Mittelpunkt steht die Diskussion um datenschutzrechtliche Vorschriften. Ein endgültiges Urteil wird das Gericht dahingehend fällen müssen, ob die DSGVO Marktverhaltensregeln beinhaltet. Spannend wird die Frage vor allem für die Betreiber von Versandapotheken, die ihre Vertriebsform unter Umständen anpassen müssen.

*Verwenden wir in Zukunft ausschließlich das generische Femininum oder Maskulinum, ist dies ausschließlich der besseren Lesbarkeit geschuldet.