Scheinselbständigkeit
Scheinselbständigkeit
04. März 2021
Für Unternehmer:innen ist Flexibilität bei Personalentscheidungen häufig aus verschiedensten Gründen unerlässlich. Nicht jede Entwicklung oder jedes Bedürfnis eines Unternehmens lässt langfristige Investitionsentscheidungen zu. Die Schaffung eines unbefristeten Arbeitsplatzes stellt für beide Parteien ein weitreichendes Commitment dar. Insbesondere in Branchen, die ganz überwiegend projektbezogen Arbeiten, ist die Zusammenarbeit mit freien Mitarbeitern nicht wegzudenken. Auch auf Auftragnehmerseite besteht in diesen Branchen selten ein Interesse an einem herkömmlichen Arbeitsverhältnis, da die freie projektbezogene Arbeit für unterschiedliche Auftraggeber, häufig Remote und von jedem Platz auf der Erde aus, sehr geschätzt wird. Die Zurückhaltung auf Seite deutscher Unternehmer ist aber groß aus der Sorge, sich dem Scheinselbständigkeits-Vorwurf ausgesetzt zu sehen.
Kriterien der Scheinselbständigkeit
Mitarbeiter, Arbeitnehmer, freier Mitarbeiter, Freelancer, Contractor. Für die Frage, ob eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit vorliegt, ist in erster Linie die tatsächliche Handhabung relevant und nicht das Etikett. Zeigt diese, dass es sich um eine unselbstständige Tätigkeit handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht mehr an. Das Gesetz selbst nennt mittlerweile in § 611 a BGB Kriterien, nach denen die Abgrenzung vorzunehmen ist, ob jemand Arbeitnehmer ist oder nicht: „Durch den Arbeitsvertrag wird der Arbeitnehmer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen. Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen. Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an.“
Die Frage, ob jemand scheinselbständig ist, ist anhand von diesen Kriterien im Einzelfall zu beantworten. Ausgangspunkt ist dabei, ob eine weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit vorliegt.
Zunächst ist die Frage zu stellen, ob eine persönliche Abhängigkeit von einem Arbeitgeber besteht.
Merkmale der persönlichen Abhängigkeit sind insbesondere die Eingliederung in die Arbeitsorganisation eines Arbeitgebers sowie die Bindung an dessen Weisungen.
Weitere Kriterien für eine Scheinselbständigkeit können danach sein: Fixer Tätigkeitsort und feste Arbeitszeiten in den Räumen des Auftraggebers, strickte vom Auftraggeber vorgegebene Urlaubsregelungen, Genehmigungspflichten für Nebentätigkeiten für andere Auftraggeber, Tragen von Firmenkleidung des Auftraggebers.
Es kommt immer auf die Gesamtsituation an. Es existieren keine starren Grenzen anhand derer man bestimmen kann, wie viel Freiheit notwendig und wie viel Weisung erträglich ist.
Folgender Kriterien kann man sich bedienen:
- Hat der Auftraggeber keine regelmäßig Beschäftigten?
- Wird der Auftragnehmer im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig? (ca. 5/6 des Umsatzes mit einem Auftraggeber - bei projektbezogenen Tätigkeiten sollte der potentielle Auftraggeber immer im Blick haben, ob der Auftragnehmer auch andere Auftraggeber hat)
- Auftraggeber hat Beschäftigte, die dieselben Tätigkeiten verrichten wie der Selbstständige
- Weisungsgebundenheit und Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers - kein unternehmerisches Handeln
- Selbstständiger hat Tätigkeit beim Auftraggeber zuvor als dessen Arbeitnehmer verrichtet
Wann kommt eine freie Mitarbeit überhaupt in Frage?
Eine freie Mitarbeit kommt meistens immer nur dann in Betracht, wenn der Auftragnehmer für verschiedene Auftraggeber tätig ist und er seine Tätigkeit frei und weisungsungebunden erbringt. Schwierig ist es immer dann, wenn der Auftragnehmer in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers wie ein Arbeitnehmer eingebunden werden soll und der Auftraggeber identische Tätigkeiten verrichtet wie ein Angestellter des Auftraggebers.
Wann ist die Wahl einer klassisch abhängigen Beschäftigung der Vorrang zu geben?
Der Vorteil einer abhängigen Beschäftigung ist aus Arbeitgebersicht die bessere Steuerungsmöglichkeit. Sofern das Kündigungsschutzgesetz nicht zur Anwendung kommt, kann der Arbeitgeber meistens leichter die Entscheidung zur Schaffung einer sozialversicherungspflichtigen Position in seinem Unternehmen treffen. Besteht also das Risiko, dass eine Zusammenarbeit als scheinselbständige Tätigkeit zu werten ist, sollten unmittelbar auch Vor- und Nachteile einer Festanstellung geprüft und abgewogen werden. Sofern mehrere der hier diskutierten Kriterien, die auf eine Scheinselbständigkeit hinweisen können, vorliegen, sollte mit großer Vorsicht vorgegangen und im Zweifel der abhängigen Beschäftigung der Vorzug gegeben bzw. ein Statusfeststellungsverfahren angestrebt werden. Häufiger scheuen Unternehmer:innen die scheinbar unauflösbare Bindung einer Festanstellung und wollen den Auftragnehmer zunächst einmal kennenlernen und zu diesem Zweck erstmal „nur“ eine freie Mitarbeit ausprobieren. Hier kann dann nur auf die Möglichkeit der Vereinbarung einer Probezeit verwiesen werden, die das gegenseitige Kennenlernen möglich macht, aber beiden Seiten eine grundsätzlich unkomplizierte Trennung voneinander ermöglicht.
Was sind die Konsequenzen einer festgestellten Scheinselbständigkeit?
Der Arbeitgeber kann nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nunmehr zu viel gezahlte Vergütung zurückverlangen, wenn rückwirkend der Arbeitnehmerstatus festgestellt wurde (BAG v. 26.6.2019 – 5 AZR 178/18). Zuvor war es lange Zeit so, dass der ehemalige Auftragnehmer/Freelancer gut geschützt wurde und nach Feststellung, es handele sich um ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis, der Arbeitnehmer zu den vormals vereinbarten Honorarsätzen weiterzubeschäftigen sei. Das früher gezahlte Freelancer-Honorar wurde mithin unverändert in die geschuldete Bruttovergütung umgewandelt. Nunmehr steht fest, dass Arbeitgeber die Differenz des gezahlten Honorars zur tatsächlich geschuldeten üblichen Vergütung im Sinne von § 612 Abs. 2 BGB zurückverlangen können. Die Arbeitnehmer sind hier auch nicht in ihrem möglicherweise bestehenden Vertrauen geschützt, wenn sie es selbst sind, die nachträglich eine Statusfeststellung betreiben.
Statusfeststellungsverfahren
Im sog. Statusfeststellungsverfahren wird der sozialversicherungsrechtliche Status festgestellt. Sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer können freiwillig ein solches Verfahren nach § 7a Abs. 1 S. 1 SGB IV bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund beantragen. Alternativ kann auch ein Anfrageverfahren bei der jeweiligen Einzugsstelle § 28 h Abs. 2 S. 1 Halbs. 1 SGB IV gemacht werden.
Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass es zu einem obligatorischen Statusfeststellungsverfahren kommt. Das ist immer dann der Fall, wenn es sich bei dem Arbeitnehmer um den Ehegatten, Lebenspartner oder Abkömmling (z. B. Kind, Enkel) des Arbeitgebers oder den geschäftsführenden Gesellschafter einer GmbH oder UG handelt. Die zuständige Einzugsstelle ist dann nach § 7a Abs. 1 S. 2 SGB IV verpflichtet, die betreffende Meldung an die Deutsche Rentenversicherung Bund zu übermitteln. Mit dem Versand des Feststellungsbogens leitet die Clearingstelle die Ermittlungen zur Statusfeststellung ein. Hierüber werden Arbeitgeber und Arbeitnehmer per Bescheid informiert.
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