Rechtswahl/Grenzüberschreitende Verträge

Rechtswahl/Grenzüberschreitende Verträge

06. Mai 2022

Angebote im Internet, insbesondere in Onlineshops, sind in der Regel weltweit abrufbar und Verträge zwischen Parteien in unterschiedlichen Ländern an der Tagesordnung. Wenn es jedoch zu Problemen kommt, etwa weil die Ware mangelhaft ist oder sich Verbraucher:innen* auf das Widerrufsrecht berufen möchte, stellt sich schnell die Frage, nach welchem Recht der Vertrag überhaupt zu bewerten ist. Der Anbieter wird in seinen AGB meist die Anwendbarkeit „seines Rechts“, also des Rechts des Landes, in welchem er seinen Sitz hat, für anwendbar erklären. Dies ist jedoch, insbesondere gegenüber Verbrauchern, nicht ohne weiteres wirksam.

Maßgeblich ist insoweit die sog. Rom I - Verordnung für grenzüberschreitende Verträge ((EG) Nr. 593/2008), welche seit dem 17.12.2009 in Kraft ist. Diese gilt unmittelbar in den Mitgliedstaaten der EU (ausgenommen Dänemark) und wird zudem teilweise sinngemäß auch für den EU-Grenzen überschreitenden Verkehr zur Rate gezogen.

Grundsatz

Grundsätzlich können die Parteien das auf ihren Vertrag anwendbare Recht frei wählen (Art. 3 Rom-I VO). Dies kann durch individuelle Aushandlung oder auch einseitig durch AGB erfolgen. Grenzen sind jedoch insoweit gesetzt, als dass, sofern alle Elemente des Sachverhalts zum Zeitpunkt der Rechtswahl in einem Staat belegen sind, durch Rechtswahl nicht von dem Recht dieses Staates abgewichen werden kann.

Sofern keinerlei Auswahl oder Vereinbarung über das anzuwendende Recht getroffen wurde, bestimmt sich das anzuwendende Recht nach Art. 4 Rom-I VO. Dort wird in Abs. 1 nach verschiedenen Arten von Verträgen differenziert und im Zweifel gemäß Abs. 2 auf das Recht des Staates, in dem der Anbieter der charakteristischen Leistung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, abgestellt. Grob gesagt greift mithin auch hier zunächst das sog. Herkunftsprinzip, es ist also in der Regel das Recht am Sitz des Anbieters der Hauptleistung (also bspw. des Verkäufers oder Dienstleisters) oder am Ort des Vertragsgegenstandes (etwa bei Immobilien) anwendbar. Allein der Umstand, dass das Angebot von einem Kunden aus einem anderen Staat wahrgenommen werden kann und wird, führt also nicht dazu, dass der Kunde sich auf die Rechtsordnung „seines Staates“ berufen kann.

Ausnahmsweise hat jedoch wiederum gemäß Art. 4 Abs. 3 Rom-I VO das sog. Recht der engsten Verbindung Vorrang, sofern nämlich der Vertrag engere Verbindungen mit einem anderen Staat als dem nach Abs. 1 oder 2 ermittelten aufweist. Ob so eine enge Verbindung zu einem anderen Vertrag besteht, ist stets im Einzelfall im Wege einer Gesamtabwägung zu beurteilen. Anknüpfungspunkte können bspw. im Falle einer Beurkundung das Land der Beurkundung, die Sprache und die Währung sein oder die Wahl von Anwälten aus einem bestimmten Staat. Auch die Angabe einer Scheinniederlassung, etwa auf einer Webseite, kann dazu führen, dass der Vertragspartner sich auf das Recht dieses Staates berufen kann. Insgesamt ist jedoch Zurückhaltung bei der Annahme der engen Verbindung geboten.

Verbraucherverträge

Wie auch in der deutschen Rechtsordnung, ist der Verbraucherschutz auch in der Rom-I VO als wichtiger Grundsatz verankert, welcher maßgeblich in Art. 6 Rom-I VO seinen Ausdruck findet.

Ein Verbrauchervertrag wird dann angenommen, wenn eine natürliche Person zu einem Zweck, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann ("Verbraucher"), einen Vertrag mit einer anderen Person geschlossen hat, die in Ausübung ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit handelt ("Unternehmer"). Dem Verbraucher soll, aufgrund seiner geschäftlichen Unerfahrenheit im Gegensatz zum Unternehmer, in dieser Konstellation besonderer Schutz zugutekommen. Dies erfolgt etwa durch die Gewährung eines Widerrufsrechts, erleichterte Kündigungsmöglichkeiten, Informations- und Hinweispflichten für Unternehmer oder Schutz vor automatisch verlängerten Laufzeiten und übermäßigen Haftungsbeschränkungen. Viele Vorschriften zum Verbraucherschutz beruhen auf EU-Bestimmungen und sind daher europaweit gleich, sofern sie auf Verordnungen beruhen, oder aber ähnlich, sofern sie in nationales Recht umgesetzt wurden.

Keine Rechtswahl

Wenn die Parteien keine Entscheidung über das anwendbare Recht getroffen haben, findet gemäß Art. 6 Abs. 1 Rom-I VO grundsätzlich das Recht des Staates Anwendung, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (auf die Nationalität des Verbrauchers kommt es nicht an), sofern

  • auch der Unternehmer seinen Geschäftsbetrieb in diesem Staat ausübt oder aber
  • der Unternehmer zwar in einem anderen Staat ansässig und tätig ist (Herkunftsstaat), aber seine Tätigkeit auf den Staat des Verbrauchers (oder auf mehrere andere Staaten) „ausrichtet“.

Wann eine solche Ausrichtung gegeben ist, ist auch in diesem Zusammenhang im Rahmen einer Gesamtabwägung zu beurteilen. Die Zugänglichkeit einer Webseite allein ist jedenfalls nicht ausreichend, so schon in der Gemeinsamen Erklärung des Rates und der Kommission zu den Art. 15 und 73 der Verordnung 44/2001. Die folgenden Indizien, welche die Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Sprachwahl bei Pflichtangaben (LINK) entwickelt hat, finden auch hier Anwendung:

  • internationaler Charakter der Tätigkeit
  • Angabe von Anfahrtsbeschreibungen zum eigenen Sitz aus dem adressierten Staat heraus
  • Standorte oder Servicecenter im adressierten Staat
  • potentielle Kunden im adressierten Staat werden explizit angesprochen und angeworben, z.B. durch Werbe-E-Mails oder Werbeanzeigen online oder auch vor Ort
  • Verwendung der Sprache und/oder Währung des adressierten Staates auf der Webseite mit der Möglichkeit der Buchung und Buchungsbestätigung in dieser anderen Sprache,
  • Möglichkeit des Versands in den adressierten Staat
  • Angabe von Telefonnummer, Adresse oder anderer Kontaktmöglichkeit vor Ort im adressierten Staat
  • Registrierung des Domainnamens der Website unter der Top-Level-Domain des adressierten Staates registriert, z.B. „.fr“ für Frankreich
  • Tätigung von Ausgaben für einen Internetreferenzierungsdienst, um den Verbrauchern in dem adressierten Staat den Zugang zur Website zu erleichtern
  • Erwähnung einer internationalen Kundschaft, die sich aus in verschiedenen Staaten wohnhaften Kunden zusammensetzt.

Ziel ist es, den Verbraucher zu schützen. Allerdings findet dieser Schutzzweck seine Grenzen und gilt nur soweit, wie es dem Unternehmer zumutbar ist, weil er sich bewusst für ein Betätigung auf einem fremden Markt entschieden hat.

Wenn die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 a) oder b) nicht gegeben sind und die Parteien auch keine Rechtswahl getroffen haben, verbleibt es auch für Verträge mit Verbrauchern bei Art. 4 Rom-I VO, also der Anwendbarkeit des Recht des Staates des Anbieters der Hauptleistung.

Rechtswahl

Nach Art. 6 Abs. 2 Rom-I VO kann jedoch auch bei Verbraucherverträgen eine Rechtswahl i.S.d. Art. 3 Rom-I VO erfolgen, solange diese nicht dazu führt, dass verbraucherschützende Vorschriften ausgeschlossen werden. Eine solche Rechtswahl dürfte der Regelfall sein, da Unternehmer in ihren AGB standardmäßig das anzuwenden Recht festlegen. Ob diese Festlegung auch immer wirksam ist, ist die andere Frage. Verbraucher dürfen sich jedenfalls auch im Falle einer Rechtswahl stets auf das zwingende Verbraucherschutzrecht desjenigen Staates berufen, in dem sie gewöhnlich ihren Aufenthalt haben. Das heimische Recht legt für Verbraucher mithin stets das Mindestmaß an Verbraucherschutz fest.

Beispiel-Fall

Ein Verbraucher mit gewöhnlichem Aufenthalt in Frankreich bestellt eine Ware in einem deutschen Online-Shop und lässt sich diese nach Frankreich schicken. In den AGB des Online-Shops ist die Geltung von deutschem Recht gewählt. In diesem Fall findet deutsches Recht auf den Vertrag Anwendung, allerdings sind zwingende französische Verbraucherschutzvorschriften zu beachten. Wenn keine Rechtswahl getroffen wurde, der deutsche Online-Shop seine Tätigkeit jedoch gezielt auf den französischen Markt ausgerichtet hat, findet vollständig französisches Recht Anwendung. Wenn weder eine Rechtswahl noch eine Ausrichtung auf den französischen Markt gegeben ist, verbleibt es bei der Anwendbarkeit von deutschem Recht.

To-Do

Unternehmer, die ihre Waren und Dienstleistungen über das Internet einem internationalen Kundenstamm anbieten, tun in der Regel gut daran, in ihren AGB eine Rechtswahlklausel aufnehmen und dabei die zwingenden Vorschriften zum Verbraucherschutz zu berücksichtigen. Ansonsten besteht das Risiko, dass die Klausel insgesamt unwirksam ist. Gerne unterstützen wir Sie bei der Erstellung einer solchen Klausel.

Wer eine mögliche Anwendbarkeit ausländischen Rechts dringend vermeiden möchte, sollte zudem bei der Gestaltung des eigenen Online-Angebotes darauf achten, dieses nicht zu explizit auf die Kunden eines ausländischen Marktes auszurichten, sondern vielmehr alles vermeiden, um den Eindruck zu erwecken, das Angebot richte sich auch an Kunden aus anderen Staaten.

Letztlich sind stets eine Gesamtabwägung und Beurteilung im Einzelfall geboten. Sofern Sie - ob als Verbraucher oder Unternehmer - Fragen oder Bedenken hinsichtlich des anwendbaren Rechts haben, stehen wir Ihnen gerne mit Rat und Tat zur Seite.

*Verwenden wir in Zukunft wegen der besseren Lesbarkeit ausschließlich das generische Femininum oder das generische Maskulinum, sind hiervon ausdrücklich sämtliche Geschlechter mitumfasst.