Pflichtteil

Pflichtteil

13. Februar 2025

Dem Erbrecht innewohnend ist ein Konflikt zwischen dem Familienerbrecht und der völligen Testierfreiheit. Die Kompromisslösung des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist das Pflichtteilsrecht.

Pflichtteil

Der Erblasser/die Erblasserin* genießt Testierfreiheit [LINK]. Er ist insbesondere nicht an die gesetzliche Erbfolge gebunden und damit auch nicht verpflichtet seinen nächsten Angehörigen etwas zuzuwenden. Im Gegenzug sichert das Pflichtteilsrecht dem gesetzlichen Erben jedoch einen Mindestwertanteil am Nachlass [LINK]. Das Pflichtteilsrecht als Rechtsverhältnis zwischen Pflichtteilsberechtigten und Erblasser besteht bereits vor dem Erbfall und ist unabhängig von einer späteren Erbschaft [LINK].

Pflichtteilsberechtigte

Der Personenkreis der Pflichtteilsberechtigten ist eng gezogen. Zu ihm gehören nach § 2303 BGB die Abkömmlinge, Eltern und Ehegatten des Erblassers.

Abkömmlinge sind mit dem Erblasser in absteigender gerader Linie verwandt (Kinder, Enkel, Urenkel usw.). Erbrechtlich zu den Abkömmlingen zählt auch das zur Zeit des Erbfalls bereits gezeugte, aber noch nicht geborene Kind (nasciturus), soweit es später lebend zur Welt kommt.

Es gilt das Stammesprinzip, sodass jedes Kind des Erblassers einen neuen Stamm eröffnet, zu deren dann auch die eigenen Kinder und Enkel gehören. Jeder Stamm wird dabei vom nächsten Abkömmling des Erblassers repräsentiert (Repräsentationsprinzip), der seine Abkömmlinge ausschließt. Ein Enkelkind des Erblassers ist damit nur dann pflichtteilsberechtigt, wenn das Kind des Erblassers (das Elternteil dieses Enkelkindes) selbst nicht Erbe ist.

Die Eltern sind sogar nur dann pflichtteilsberechtigt, wenn der Erblasser keine Abkömmlinge hinterlässt.

Die Ehegatten haben stets neben den Kindern ein Pflichtteilsrecht.

Höhe des Pflichtteils

Maßgeblich für die Höhe des Pflichtteils ist in erster Linie die Quote, mit der der Pflichtteilsberechtigte im hypothetischen Fall der gesetzlichen Erbfolge erben würde. Es ist damit die Erbquote zu ermitteln, die ohne Testament gelten würde. Dabei sind diejenigen mitzuzählen, die durch Testament enterbt worden, die die Erbschaft ausgeschlagen haben oder für erbunwürdig erklärt worden sind, § 2310 S.1 BGB. Nicht hingegen, wer gegenüber dem Erblasser auf sein Erbrecht verzichtet hat, § 2310 S.2 BGB.

Die Hälfte dieses Anteils entspricht dem Pflichtteil.

Besonderheiten bei Ehepartnern

Diese Regel gilt jedoch nicht ausnahmslos. Neben die erbrechtliche Komponente, tritt bei verheirateten Erblassern auch noch eine familienrechtliche. Dies jedoch nur, wenn der Erblasser im Erbfall noch verheiratet war und zusätzlich nicht die Voraussetzungen einer Scheidung gegeben waren und der Erblasser diese weder beantragt noch ihr zugestimmt hat, § 1933 S. 1 BGB.

Die Wahl des Güterstandes der Ehepartner hat Einfluss auf den Pflichtteil. Der Ehegatte ist grundsätzlich neben Verwandten 1. Ordnung (Abkömmlinge des Erblassers) zu einem Viertel und neben Erben zweiter Ordnung (Eltern des Erblassers und deren Kinder) sowie neben Großeltern zur Hälfte als gesetzlicher Erbe berufen, § 1931 I BGB.

Der Pflichtteil der Zugewinngemeinschaft, welche den „Normalfall“ des Güterstandes darstellt und auch ohne Ehevertrag gilt, lässt zwei Möglichkeiten der Berechnung zu.

Der kleine Pflichtteil entspricht dem grundsätzlichen Erbteil des Ehegatten und tritt neben den Anspruch auf Zugewinnausgleich.

Beim großen Pflichtteil hingegen wird der Zugewinnausgleich dadurch erreicht, dass sich der Erbteil des Ehepartners um ein Viertel und damit auch der Pflichtteil erhöht, § 1371 I BGB. Dies gilt unabhängig davon, ob ein Zugewinn tatsächlich erzielt wurde. Der große Pflichtteil kann nur dann geltend gemacht werden nach § 1371 I BGB, wenn der Ehepartner Erbe oder Vermächtnisnehmer geworden ist, wobei es auf die Höhe der Zuwendung nicht ankommt. Der Ehegatte kann jedoch die Zuwendung auch ausschlagen und den „kleinen Pflichtteil“ geltend machen nach § 1371 III BGB. Dem Ehepartner steht somit ein Wahlrecht zwischen kleinem und großem Pflichtteil zu.

Bei der Gütertrennung erhöht sich der grundsätzliche Anteil bei Vorliegen eines Kindes auf die Hälfte und bei Vorliegen zweier Kinder auf ein Drittel, § 1931 IV BGB.

Pflichtteilsanspruch

Der Pflichtteilsanspruch ist Folge des Pflichtteilsrechts. Der Pflichtteilsberechtigte wird dabei nicht selbst Erbe oder Teil der Erbengemeinschaft und kann damit auch keinen Einfluss auf die Verwaltung des Nachlasses nehmen. Er erhält einen Geldanspruch gegen den Erben oder die Erbengemeinschaft. Dieses Recht steht dem Pflichtteilsberechtigten dann zu, wenn er durch Testament oder Erbvertrag von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen wurde. Es ist sowohl übertragbar als auch vererblich, § 2317 II BGB.

Zusatzpflichtteil

Für den Fall, dass der Pflichtteilsberechtigte zwar Erbe oder Vermächtnisnehmer ist, der Erbanteil beziehungsweise die Höhe des Vermächtnisses jedoch geringer als der Pflichtteil ist, kann der Pflichtteilsberechtigte die Wertdifferenz von den (Mit-)Erben als Zusatzpflichtteil verlangen, §§ 2305, 2307 BGB. Ein solcher Anspruch kann insbesondere einem Ehegatten bei der Zugewinngemeinschaft und Berechnung des großen Pflichtteils zustehen.

Ausschlagung der Erbschaft oder des Vermächtnisses

Wer die Erbschaft ausschlägt, hat grundsätzlich auch keinen Pflichtteilsanspruch. Dies gilt jedoch nicht für den beschränkten oder beschwerten Erben, § 2306 BGB. Bei einer solchen Belastung entsteht für den Erben ein Wahlrecht zwischen der Annahme der Erbschaft und dem Verlangen des vollen Pflichtteils.

Ehegatten bei Zugewinngemeinschaft können das Erbe ausschlagen und sodann trotzdem den „kleinen Pflichtteil“ erhalten, § 1371 III BGB.

Den Anspruch auf den Zusatzpflichtteil behält der Pflichtteilsberechtigte bei Ausschlagung des Pflichtteils.

Ist der Pflichtteilsberechtigte mit einem Vermächtnis bedacht, so kann er den Pflichtteil auch dann verlangen, wenn er das Vermächtnis ausschlägt, § 2307 I 1 BGB.

Ausnahmen zum Pflichtteilsanspruch

Nicht immer entspricht es dem Wunsch des Erblassers, dass der Pflichtteilsberechtigte einen Geldanspruch erhält.

In besonders schweren Fällen kann der Pflichtteil entzogen werden, § 2333 BGB. Ein solcher Ausnahmefall muss im Testament begründet werden und hat hohe Anforderungen, wie beispielsweise schwere Verfehlungen des Pflichtteilsberechtigten gegenüber dem Erblasser oder seiner Familie. Die Pflichtteilsentziehung gilt dabei nicht für die Abkömmlinge des Pflichtteilsberechtigten.

Ein weiteres Vehikel zum Schutz des Familienvermögens vor Verschwendung stellt das Gesetz mit der Pflichtteilsbeschränkung in § 2338 BGB bereit, indem in Ausnahmekonstellationen die Anordnung eine Dauertestamentsvollstreckung den Zugriff des Pflichtteilsberechtigten auf den Pflichtteil verhindert.

Praxisrelevanter ist jedoch ein Pflichtteilsverzicht, den der Pflichtteilsberechtigte häufig jedoch nur unter Zahlung einer Abfindung vereinbart und der notariell beurkundet werden muss, § 2346 II BGB. Dieser Verzicht erstreckt sich auch auf die Abkömmlinge des Verzichtenden, soweit nicht ein anderes vereinbart wird, § 2349 BGB. Zeigt sich der Pflichtteilsberechtigte nicht bereit eine Vereinbarung zu treffen, gibt es alternative Strategien den Pflichtteil zumindest zu verringern, indem man beispielsweise die Familienverhältnisse verändert oder noch zu Lebzeiten Schenkungen vornimmt.

Pflichtteilsergänzungsanspruch

Bestehen Pflichtteilsansprüche und wurde der Nachlass vom Erblasser dadurch verringert, dass er zu Lebzeiten Schenkungen an andere Personen gemacht hat, so steht dem Pflichtteilsberechtigten zusätzlich ein Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 BGB zur Seite.

Dieser soll die Aushöhlung des Pflichtteilsanspruchs verhindern. Der Pflichtteil soll gerade eine Mindestbeteiligung am wirtschaftlichen Wert des lebzeitigen Vermögens des Erblassers sicherstellen.

Pflichtteilsergänzungsberechtigter und Pflichtteilsergänzungsverpflichteter

Geltend gemacht werden kann der Anspruch nur von einem Pflichtteilsberechtigten. Dabei ist inzwischen nicht mehr von Belangen, ob die Pflichtteilsberechtigung bereits bei Schenkung vorlag.

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch soll den Pflichtteilsanspruch zwar ergänzen, ist jedoch als rechtlich selbstständiger außerordentlicher Pflichtteilsanspruch vom Bestehen eines Pflichtteilsanspruchs unabhängig. Deshalb kann der Anspruch auch einem Erben oder Vermächtnisnehmer zustehen sowie selbst demjenigen, der die Erbschaft ausgeschlagen hat.

Der Anspruch richtet sich primär an die Erben und ist auf eine Geldforderung gerichtet. Ist jedoch kein oder ein nur unzureichender Nachlass vorhanden, so ist der Erbe nicht verpflichtet und der Anspruch richtet sich gegen den Beschenkten, § 2329 I BGB. Der Anspruch gegen den Beschenkten ist kein Geldanspruch, sondern lediglich ein bereicherungsrechtlicher Herausgabeanspruch.

Voraussetzungen des Pflichtteilsergänzungsanpruchs

Voraussetzung des Anspruchs ist eine Schenkung zu Lebzeiten durch den Erblasser selbst.

Auf eine böse Gesinnung und damit eine bewusste Umgehung des Pflichtteilsanspruchs kommt es dabei nicht an. Der beschenkte Dritte kann jede natürliche oder juristische Person sein. Auch ein Pflichtteilsberechtigter oder ein Erbe selbst. Dann kommt es jedoch entscheidend darauf an, ob der Erblasser bei Schenkung eine Anrechnungsbestimmung getroffen hat.

Ist dies der Fall, so muss der Beschenkte sich den Wert bereits auf den ordentlichen Pflichtteil anrechnen lassen, § 2315 BGB. Ist dies nicht geschehen, so ist der Wert jedoch zumindest auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch anzurechnen, § 2327 BGB.

Die Schenkung muss rechtsgültig sein und es muss sich auch tatsächlich um eine Schenkung handeln. Dafür benötigt es objektiv eine Bereicherung des Empfängers aus dem Vermögen des Erblassers und subjektiv ein Einigsein über eine ganze oder teilweise Unentgeltlichkeit der Zuwendung.

Auch gemischte Schenkungen fallen hierunter, wobei der Pflichtteilsergänzungsanpruch dann nur hinsichtlich des Schenkungsteils besteht.

Es ist zu beachten, dass Zuwendungen unter Ehegatten, welche der Verwirklichung oder Ausgestaltung der Lebensgemeinschaft dienen, zwar grundsätzlich keine Schenkungen darstellen, sie jedoch erbrechtlich für den Pflichtteilsergänzungsanspruch wie Schenkungen behandelt werden.

Die unentgeltliche Überlassung einer Wohnung stellt hingegen keine Schenkung dar.

Höhe des Pflichtteilsergänzungsanspruchs

Als Ergänzung des Pflichtteils kann der Berechtigte den Betrag verlangen, um den sich der Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand dem Nachlass hinzugerechnet wird. Dabei ist für verbrauchbare Sachen, insbesondere Geld und Wertpapiere der Wert im Zeitpunkt der Schenkung maßgeblich und für sonstige Sachen, insbesondere Immobilien oder Unternehmensanteile der Wert im Zeitpunkt des Erbfalls.

Zeitliche Beschränkungen

Der Anspruch unterliegt zeitlichen Grenzen und Einschränkungen. Im Zeitpunkt des Erhalts der Zuwendung beginnt eine Frist zu laufen. Dabei ist keine streng juristische, sondern eine wirtschaftliche Sichtweise an den Tag zu legen und eine Leistung erst dann anzuerkennen, wenn der Erblasser die wirtschaftlichen Folgen seiner Schenkung spürbar trägt. Dies ist insbesondere problematisch bei uneingeschränktem Vorbehalt gewisser Rechte seitens des Erblassers.

So sei eine Schenkung des Erblassers unter Nießbrauchvorbehalt keine solche Leistung, da der Erblasser den Genuss des verschenkten Gegenstandes nicht tatsächlich entbehren müsse. (Genuss-Rechtsprechung)

Schenkungen, die der Erblasser nicht innerhalb der letzten zehn Jahre vor seinem Tod getätigt hat, sind für den Pflichtteilsergänzungsanspruch unbeachtlich. Außerdem schmilzt der Schenkungswert nach der „Pro-Rata-Regelung“ des § 2325 III BGB in jedem Jahr um 10 % ab. Die Schenkung im ersten Jahr vor Erbfall wird somit noch voll in Ansatz gebracht. Eine Schenkung findet dann je länger sie zurückliegt jährlich weniger Berücksichtigung. Für Schenkungen an Ehegatten beginnt die Frist nicht vor Auflösung der Ehe, § 2325 III S.3 BGB.

*Verwenden wir in Zukunft wegen der besseren Lesbarkeit ausschließlich das generische Femininum oder das generische Maskulinum, sind hiervon ausdrücklich sämtliche Geschlechter mitumfasst.